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Verwandtschaft aus der Bronzezeit

HEZ MaB - M3 + Manfred Huchthausen - Nachfahre von M1 - frontal quer - Foto Günter Jentsch 300dpi - Bildrechte HEZ
HEZ MaB – M3 + Manfred Huchthausen – Nachfahre von M1 – frontal quer – Foto Günter Jentsch 300dpi – Bildrechte HEZ

Eines hat jeder Mensch – Verwandtschaft. Fast jeden Menschen interessiert seine Familie. Viele interessieren sich für Genealogie und können stolz auf einen Stammbaum von ein paar hundert Jahren verweisen. Nach wie vor ist jedoch die Stammesgeschichte des Menschen nicht klar, sie ist heute wohl umstrittener denn je.

Wer kann da schon 3.000 Jahre alte Ahnen vorweisen, Ahnen aus der Bronzezeit? Sicherlich keiner werden Sie jetzt wohl denken. Schriftliche Aufzeichnungen gibt es im sogenannten germanischen Kulturraum erst seit der Völkerwanderungszeit bzw. dem Frühmittelalter. Als ältestes schriftliches Zeugnis einer germanischen Schriftsprache wird die Wulfilabibel angesehen, und die stammt aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. Und dennoch, es gibt zwei Männer, die können auf eine 3.000jährige Abstammung verweisen und diese Männer stammen aus dem Harz, aus dem Raum Osterode.

Alles begann 1972 mit der neuzeitlichen Entdeckung einer Höhle im Vorharzer Höhenzug Lichtenstein, gelegen bei Osterode am Harz, zwischen Förste und Dorste. Die Höhle wurde bald darauf verschlossen und zum Naturdenkmal erklärt. Anfang 1980  begannen fünf Harzer Höhlenforscher die Höhle weiter zu erkunden. Sie stießen auf eine Gesteinsspalte die unzugänglich erschien und erweiterten diese. Als sie weiter vordrangen, entdeckten sie einen neuen, unbekannten Höhlenteil, der sich in fünf miteinander verbundene Höhlenkammern von insgesamt 40qm darstellte. Dort machten die Fünf eine aufsehenerregende Entdeckung: Die Höhlenkammern waren übersät von tausenden menschlichen und tierischen Knochen sowie Bronzegegenständen und Keramik.

Dieser Fund stellte eine wissenschaftliche Sensation für die archäologische Forschung dar. Die oberflächennahen Funde waren infolge des Höhlenklimas von einer dicken Schicht Gipssinter bedeckt, die wie eine Konservierungsschicht wirkte. Außergewöhnlich war auch, dass dieser Fundort über 2 500 Jahren ungestört blieb. Auch war in den Kulturen jener Zeit die Brandbestattung der übliche Ritus, Körpergräber wie in diesem Fall sind hingegen die Ausnahme.

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Die Archäologie war zwar anfangs euphorisch, bis auf einige Skizzierungen und Notbergungen tat sich jedoch in den folgenden Jahren wenig. Es waren wohl die technischen Schwierigkeiten der Bergung in einer engen Höhle, die der Behörde Schwierigkeiten bereitete.

1992 brachen Raubgräber dann gewaltsam in die Höhle ein und nahmen einige Fundstücke mit, die sie jedoch später zurückgaben. Diese Aktion zwang das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege zum baldigen Handeln. In jährlichen Kampagnen wurde die Höhle von 1993 bis 2011 wissenschaftlich untersucht und alle Befunde geborgen. Bei diesen Arbeiten wurde in einem Nebengang noch ein umfangreicher Bronzehort entdeckt.

Unter der Leitung von Kreisarchäologe Dr. Stefan Flindt wurden etwa 5 500 menschliche Knochenteile gefunden, die sich etwa 65 bis 70 Individuen zurechnen lassen. Darüber hinaus wurden rund 100 Bronzegegenstände (Ohr-, Arm- und Fingerringe, Armreife) und Keramikteile sichergestellt. Die Bronze- und Keramikfunde ließen sich zeitlich der Hallstattperiode vom 10. bis 8. Jahrhundert v. Chr. zuordnen, so dass dieser Abschnitt als Nutzungszeitraum der Höhle anzunehmen ist.

An den Knochenfunden war jedoch etwas außergewöhnlich, vielleicht einmalig: Durch das kalkhaltige Wasser der Höhle sowie die konstant niedrige Temperatur waren die Knochen sehr gut erhalten, praktisch konserviert. Selbst die DNA der Knochensubstanz war noch vorhanden und ließ sich molekularbiologisch untersuchen. Die DNA-Analyse und der daraus gewonnene genetische Fingerabdruck ergaben eine wissenschaftliche Sensation. Dr. Susanne Hummel und ihr Team vom Göttinger Institut für Anthropologie hatte die DNA von 22 Personen aus drei Generationen typisiert und damit den bislang ältesten bekannten Familienclan der Welt genetisch nachgewiesen. In drei Fällen handelt es sich bei den Personen um Eltern und Kinder, in zwei weiteren Fällen sind es ein Elternteil mit Kindern. Bei 15 der 22 DNA-typisierten Personen liegen Verwandtschaftsbeziehungen vor.  Inzwischen sind sogar 62 Individuen genetisch identifiziert, die in der Höhle begraben waren, und wahrscheinlich sogar 4 – 5 dem Familienclan zugehörige Generationen. Ein analysiertes spezifisches Gen-Muster eines der gefundenen Männer ließ eine Idee aufkeimen. Gibt es noch Nachkommen der Bronzezeitmenschen in der Region und lassen sich diese ausfindig machen?

Es folgte ein Aufruf zum Speicheltest an Alteingesessene der 6 umliegenden Orte. Diese einzigartige Aktion fand regen Zuspruch, 270 Anwohner stellten sich der Wissenschaft zur Verfügung. 2007 folgte der wissenschaftliche Paukenschlag. 2 Männer wurden als ferne Verwandte ermittelt, abstammend über etwa 120 Generationen vom selben Mann, „Eindeutig wie beim Vaterschaftstest“ so Dr. Hummel. Berufsschullehrer Manfred Huchthausen und Landvermesser Uwe Lange, die sich vorher nur vom Sehen kannten, haben einen gemeinsamen, 3.000 Jahre alten Stammbaum. Somit hat der Harz eine Novität in der Wissenschaftswelt, den bislang ältesten nachgewiesenen Stammbaum der Welt.

Seit Juli 2008 hat das nahe gelegene Bad Grund eine neue Harzer Besucherattraktion. Das HöhlenErlebnisZentrum Iberger Tropfsteinhöhle wurde nach nur 15 Monaten Bauzeit und einer Investition von 3,65 Mio. Euro eröffnet. Erste Überlegungen dazu, und somit die Idee, kamen vom Ausgräber Kreisarchäologen Dr. Flindt; umgesetzt wurde es unter der Leitung des 2010 verstorbenen Denkmalpflegers Reinhard Roseneck.

Entstanden ist zum einen ein Übertage-Museum, dass die sensationellen Ergebnisse der Erforschung der Lichtenstein-Höhle präsentiert. Auch die Rekonstruktion der Köpfe von einer jungen Bronzezeitfrau und ihrer Eltern sind zu bestaunen, und das Höhlengrab wurde 1:1 nachgebaut. Das Höhlenerlebniszentrum hat aber noch zwei weitere Teile: ein Museum im Berg und die Iberger Tropfsteinhöhle. Das „Museum im Berg“ ist ein 160 m langer Stollen – der in den Berg gesprengt wurde. Unter dem Motto „Ein Riff auf Reisen“ wird so anschaulich die Geschichte des Ibergs dargestellt.