Archiv der Kategorie: Wissenschaft

In der Wissenschaft wird fleißig gearbeitet und geforscht, jedoch braucht es ab und an auch einen klugen Gedanken. Denn wenn alle Berechnungen versagen ist dies nicht Zufall, sondern Unwissen.

Bernd Sternal

Völkerwanderungen IV – von Sinti und Roma

Es kann durchaus sein, dass ich mich mit diesem Beitrag etwas außerhalb der Political Correctness bewege, dass muss unsere Demokratie jedoch aushalten. Es besteht eine Analogie zu der momentanen Flüchtlingsbewegung, alles nur schönreden und versuchen die anstehenden Probleme auszusitzen hat noch nie geholfen. Die Gesellschaft muss darüber diskutieren und vor allem sie muss bei der Problemlösung mit ins Boot geholt werden. Denn nur durch ihre Akzeptanz und durch ihr aktives Mitwirken kann die Immigration von Bevölkerungsminderheiten gelingen. Das ist bei den derzeitigen Flüchtlingen nicht anders, als bei der jahrhundertelangen Wanderung der Sinti und Roma.

Niemand kann sagen, woher der ursprüngliche Begriff „Zigeuner“ für diese Ethnie stammt, nur Mutmaßungen gibt es dazu. Jedoch wurde diese Bevölkerungsminderheit über Jahrhunderte überall in Europa so bezeichnet. In dieser Debatte um Sinti und Roma sind die Soziologen die Wortführer. Ohne die vorhandenen historischen Fakten zu akzeptieren werden die europäischen Völker für die mangelhafte Immigration dieser ethnischen Minderheit in die Verantwortung genommen.

Weder die Historik, die Archäologie noch andere Geschichtswissenschaften können verlässliche Anhaltspunkte über die Herkunft dieser Ethnie geben, auch die Naturwissenschaften konnten dazu bisher keinen Beitrag leisten. Die Herkunft von Sinti und Roma blieb unsicher, ja teils mythisch. Allein die Sprachwissenschaft brachte etwas Licht ins Dunkel. Der Begriff „Zigeuner“ wird heute als Fremdbezeichnung für die Ethnie der Sinti und Roma abgelehnt. In diesem Zusammenhang möchte ich jedoch auch daran erinnern, der Begriffe Germanen ist auch eine Fremdbezeichnung aus römischer Feder. Ein Wort, ein philosophischer Begriff, wird durch Eigenschaften definiert. Die Eigenschaften, die ein Wort inhaltlich ausmachen, werden ihm von Menschen, von der menschlichen Gesellschaft, intruiert. Ich komme dabei zurück auf den im 19. und 20. Jahrhundert glorifizierten Germanenbegriff: groß, kräftig, blond und wild. Die Römer haben uns dazu gemacht, sie waren hingegen kleiner, weniger kräftig und von Typ her dunkelhaarig und hatten eine gewisse Zivilisierung. Gern haben unsere Vorväter auf die römischen Beschreibungen des Germanentyps zur eigenen Glorifizierung zurückgegriffen – mit fatalen Folgen, wie wir heute wissen.

„Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts legen sprachwissenschaftliche Untersuchungen die Annahme nahe, dass die Vorfahren der europäischen Roma auf vormals im Nordwesten des indischen Subkontinents lebende Bevölkerungsgruppen zurückgeführt werden können. Die heutige Romanes-Linguistik präzisiert diese Hypothese: „Zentralindien, Auswanderung nach dem Nordwesten und längerem Aufenthalt dort“, so der britische Linguist Yaron Matras, in „Die Sprache der Roma“.Erbgut,

Zudem können neuerdings auch die Naturwissenschaften Erkenntnisse zur Herkunft der Roma beisteuern. Erbgutanalysen belegen nun: europäische Sinti und Roma stammen aus Nordindien. Herausgefunden haben die Forscher sogar, dass sich Sinti und Roma im Nordwesten Indiens vor etwa 1500 Jahren auf die Wanderschaft begeben haben, bis sie vor etwa 900 Jahren über den Balkan nach Europa zogen. Dementsprechend gelangen wir in einen Zeithorizont der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts: 535 n. Chr. brach der Proto-Krakatau in Indonesien aus, ich habe darüber in Teil III berichtet. Können der Beginn der Völkerwanderung der Roma und dieser gewaltige Vulkanausbruch mit seinen globalen Klimafolgen in einen Zusammenhang gebracht werden? Auszuschließend ist dieser wohl nicht. „Am Anfang ihrer Reise blieben die Wandernden zunächst überwiegend unter sich, zeigt die Erbgutanalyse. Spuren von Hochzeiten mit Menschen aus dem Mittleren Osten, dem Kaukasus oder aus Zentralasien, finden sich kaum“, sagt Manfred Kayser von der Erasmus University Rotterdam. Die Untersuchungen und Vergleiche des Genoms von 152 Sinti und Roma aus 13 Gruppen, die in Ost-, Nord- und Westeuropa leben, mit dem Erbgut anderer europäischer Bevölkerungsgruppen, ergaben erstaunliche Resultate: So kann davon ausgegangen werden, dass die Auswanderer zu Beginn ihrer Reise fast ausschließlich unter sich blieben, denn Spuren anderer Kulturen aus dem arabischen Raum oder aus Zentralasien finden sich kaum. Jedoch muss sich der Zug später aufgespalten haben, denn heute gibt es zwischen den verschiedenen, weitgehend genetisch isolierten Gruppen einige Unterschiede, obwohl die Sinti und Roma weitgehend unter sich blieben. Bei der Untersuchung des Erbgutes osteuropäischer Gemeinschaften fand sich Erbgut anderer Europäer aus jüngerer Zeit.

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Die historischen Quellen zu den Roma und ihren Wanderzügen sind unübersichtlich, unklar und sehr widersprüchlich: verschiedene Wissenschaftler bewerten sie sehr unterschiedlich. Einen Konsens gibt es in etwa darüber, dass sie jedenfalls spätestens seit dem 14. Jahrhundert in Süd- und Osteuropa lebten. Zum Nachrechnen: Seitdem sind 7 bis 8 Jahrhunderte vergangen. Warum ist sind dennoch bis heute die weitgehend endogenen Sozialstrukturen der Roma erhalten geblieben und warum haben sie bisher – über geschätzte 1500 Jahre – keine neue Heimat gefunden? Es ist wohl eines der großen Rätsel unserer Zeit, denn schließlich sind die Sinti und Roma keine verschwindend kleine Minderheit, sondern es leben derzeit etwa 11 Millionen von ihnen in Europa. Das sind mehr Menschen, als mancher kleine europäische Staat an Einwohnern hat.

Bei meinen Recherchen zu dem Buch „Die Harz-Geschichte 5 – die Zeit des Dreißigjährigen Krieges“ bin ich, bezüglich der Sinti und Roma, auf einige interessante Zeitdokumente gestoßen. Damals, in der jungen Neuzeit, wurden diese Ethnie in Nord- und Mitteldeutschland nicht als „Zigeuner“ bezeichnet, sondern trug die Bezeichnung Tatern. Für den nord- und mitteldeutschen Raum werden die Tatern erstmals im frühen 15. Jahrhundert genannt: 1417 in Magdeburg und in Hildesheim. Im 16. Jahrhundert wurden sie dann erstmals in der Harzregion genannt: 1539 in Quedlinburg, 1545 in Halberstadt und 1572 in Nordhausen. Ende des 16. Jahrhunderts kamen dann erstmals größere Gruppen Tatern in die Harzregion. Ihr fremdländisches Erscheinungsbild, verbunden mit ihrem Glaube und Aberglaube, verunsicherte die einheimische Bevölkerung, was angeblich einen gewissen Einfluss auf die damaligen Hexenvorstellungen ausübte. Wie die Quellen besagen, wurden die Tatern dennoch, besonders in den Städten, von der Harzer Bevölkerung recht vorbehaltlos aufgenommen. Ihre Lebenseinstellung und besonders ihre Kleinkriminalität (Diebstahl und Betrug) brachten den Tatern aber schon bald einen schlechten Ruf ein. Damals gab es keine Integrationsprogramme, Neue hatten sich in die Gemeinschaft einzufügen oder sie wurden gemieden und ausgestoßen. Und wie immer ist es falsch, alles über einen Kamm zu scheren. Es gab Tatern-Gruppen, die redlich waren und sich trotzdem auf Druck der Bevölkerung, auf Grund ständigen Argwohns, tief in das Gebirge zurückzogen. Die Plätze, an denen sie hausten, wurden nach ihnen benannt: Taternhöhe, Taternloch, Taternköpfe und Taternberg sind einige solcher überlieferten Namen. Das eigentliche Übel in jener Zeit des Dreißigjährigen Krieges sollen jedoch die bewaffneten Taternbanden gewesen sein. Der Chronist Wilhelm Kalthammer beschreibt es mit folgenden Worten: „Vor dem Wallensteinschen Heere zogen stark bewaffnete Zigeunerbanden umher, die unter dem Vorgeben zu diesem zu gehören, ebenfalls plünderten und raubten.“ Dafür wurden die Tatern gehasst und verachtet. Sie wurden damals auch von Amts wegen vertrieben, wo immer man sie antraf. Da der Dreißigjährige Krieg die Harzregion besonders schwer in Mitleidenschaft gezogen hatte, war auch die Wut auf die Tatern als Trittbrettfahrer der Kaiserlichen besonders groß und hielt für lange Zeit an.

Alle Epochen der Menschheitsgeschichte waren auch Epochen von Völkerwanderungen. Diese dauerten länger oder weniger lang. Alle diese Völker haben jedoch irgendwann ihre neue Heimat gefunden und sich dann mit den jeweils Einheimischen gemischt. Das lief in den seltensten Fällen reibungslos ab, häufig gab es lange andauernde Konflikte. Letztlich aber fand eine Immigration der Einwanderer statt, bei der eingesessenen Bevölkerung entstand Akzeptanz und auch eine gewisse Anpassung – beide Seiten konnten davon profitieren. Nur bei den Sinti und Roma ist wohl die Immigration in keinem europäischen Land wirklich gelungen, weil diese Bevölkerungsgruppen ihre endogene Sozialstrukturen nicht aufbrechen liesen. Bei Vermischung durch Heirat verlassen die entsprechenden Paare anscheinend oftmals die Sinti-Roma-Gemeinschaft, so dass die Erbgutvermischungen nicht in diesen Gemeinschaften weitergegeben werden können.

Sicherlich haben die Europäer bei der Immigration vieles falsch gemacht oder hätten vieles besser machen können. Dennoch muss resümiert werden: Immigration kann keine Einbahnstraße sein. Die Neuankömmlinge müssen dazu auch ihren Beitrag leisten und sie müssen die Grundsätze der Sozialstrukturen, sowie die geltenden Gesetze, respektieren und einhalten.

Das Einwanderungen von großen Bevölkerungsgruppen auch gut gelingen können zeige ich in meinem nächsten Beitrag auf, auch wenn es sich dabei um keine klassische „Völkerwanderung“ handelt – die kann es in unserer modernen Zeit nicht mehr in der Form, wie in der Antike, der Völkerwanderungszeit sowie im Mittelalter und der frühen Neuzeit, geben.

Völkerwanderung V – Die Auswanderung der Hugenotten




Völkerwanderungen III – die Sueben

Karte der Eroberungen unter Hermeric und Rechila (411–448). Alexander Vigo
Karte der Eroberungen unter Hermeric und Rechila (411–448). Alexander Vigo

Nachdem ich zuvor Völkerwanderungen in der römischen Antike behandelt habe, wende ich mich nun schwerpunktmäßig der Völkerwanderungszeit zu. Zeitlich ist dieser Begriff nicht exakt einzugrenzen, er stellt in der Historik ein Bindeglied zwischen der Antike und dem Mittelalter dar. Die Völkerwanderungszeit steht für eine Wanderbewegung vorrangig germanischer Stämme und Gruppen in Mittel- und Südeuropa. Zeitlich beginnt diese Zwischenepoche mit dem Einbruch der Hunnen nach Ostmitteleuropa um 375/376 und findet mit dem Einfall der Langobarden in Italien sein Ende. Die Völkerwanderung stellt allerdings keinen einheitlichen, in sich abgeschlossenen Vorgang dar. In der Forschung wird  dieser Zeitabschnitt sehr kontrovers diskutiert und der Begriff Völkerwanderung teilweise abgelehnt. Eine ideologisch geprägte Debatte mit Potential zur Haarspalterei: Es sollen nur Gruppen gewesen sein, die da auf der Suche nach neuen Lebensräumen waren. Jedoch ist unstrittig, dass es zum Teil sehr große Gruppen waren, mit mehreren hunderttausend Menschen. Sollen wir diese Wanderungen in Zukunft „Gruppenwanderungen“ nennen, wie bei dem Ausflug einer Schulklasse? Diese Diskussion lässt einen Vergleich zur Rechtschreibreform aufkommen: keiner wollte sie, keiner brauchte sie und zudem ist sie noch völlig misslungen. Jedoch haben sich damit einige Geisteswissenschaftler ein Denkmal gesetzt, wenn auch nur ein kleines, eines aus Pappmaschee. Mit derartigen Forschungen beschäftigt sich insbesondere ein Fachbereich der Soziologie, die Migrationssoziologie.

Diskutiert werden bis heute auch die Ursachen für diese Wanderbewegungen, die sich nicht nur auf Europa beschränkten, sondern wohl ein weltweites Phänomen waren. Mit erheblicher Sicherheit kann jedoch angenommen werden, dass diese Wanderbewegungen nicht auf politischen Ursachen begründet waren. Was bleibt also als Ursache, seine angestammte Heimat zu verlassen und ins Ungewisse zu ziehen. Hunger war damals, wie auch heute noch, eine bedeutende Triebfeder dafür. Wir wissen, dass ab etwa 535 die Atmosphäre erheblich abkühlte und die Niederschlagsmengen wesentlich kleiner wurden. Warum war jedoch bislang unklar. Dann fand der Vulkanologe Ken Wohletz vom Los Angeles National Laboratory Indizien dafür, dass 535 im heutigen Indonesien ein mächtiger Vulkanausbruch stattgefunden haben muss. „Dieser Ausbruch war mit Sicherheit der größte in der überlieferten Geschichte, vier- oder fünfmal größer als der Ausbruch des Tambora im Jahr 1815“, glaubt Wohletz. Über den letztgenannten Vulkanausbruch habe ich in diesem Blog bereits berichtet. Laut Wohletz ist der Krakatau ein „Nachkomme“ dieses Megavulkans, den er Proto-Krakatau nennt. Tiefenmessungen, die zwischen Indonesien und Java durchgeführt wurden, lassen auf die Existenz eines 50 Kilometer großen Kraters schließen. Zudem hat man dort Asche- und Bimssteinschichten gefunden, deren Alter die Theorie von Wohletz stützen. Im Dauerfrostboden von Grönland und der Antarktis wurden bei Kernlochbohrungen, sowie Messungen an Baumringen, weitere Indizien dafür gefunden. Wohletz geht davon aus, dass die Erde als Folge des Ausbruchs von einer 150 Meter dicken Wolkenschicht umgeben war. Die Sonneneinstrahlung wäre dadurch auf 50 Prozent herabgesetzt worden.

Wie dem auch sei, auf jeden Fall begaben sich einige germanische Stämme oder größere Gruppen von ihnen auf einen Wanderzug auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten. Einige dieser Züge setzten schon lange vor dem Jahr 535 ein, so dass die Klimakapriolen, verursacht durch den wahrscheinlichen Vulkanausbruch des Proto-Krakatau, nicht die Ursachen gewesen sein können. Dazu zählt auch die Wanderung der Vandalen, Sueben und Alanen. Über Ursachen gibt es verschiedene Theorien. Eine davon, die ich favorisiere, ist die Verdrängung durch andere Völker oder Volksstämme.

Wie ein Orkan waren im Jahr 375 n. Chr. die Hunnen in Europa eingefallen. Zunächst traf es die Goten im Osten Europas, aber auch noch weiter östlich lebende Völker wie die Alanen. Die Goten hatten dem asiatischen Steppenvolk der Hunnen, mit ihren unendlichen Reiterscharen, nichts entgegen zu setzten – ihnen blieb nur die Flucht, wenn sie überleben wollten. Einige germanische Stämme, zum Beispiel die Terwingen, aus denen sich später die Westgoten entwickelt haben sollen, suchten Schutz im Römischen Reich. Des Imperium Romanum zog sich zu dieser Zeit jedoch immer weiter zurück. Es hatte zunehmend mit eigenen, vorrangig innenpolitischen Problemen zu kämpfen, die im Jahr 395, nach dem Tod Kaiser Theodosius I., in einer Teilung in das West- und das Oströmische Reich gipfelten. Diese Teilung war auch eine politische, und sie sollte der Anfang von Ende des Römischen Reiches sein.

Die von den Hunnen vertriebenen germanischen Stämme, allen voran die Goten, lösten auf ihrer Flucht eine Art Kettenreaktion aus. Die Goten hatten unter anderem die Vandalen aus ihren angestammten Gebieten zwischen Oder und Weichsel verdrängt.

Im Folgenden möchte ich mich auf die Wanderung der Sueben konzentrieren. Archäologisch werden die Sueben zu den Elbgermanen gerechnet. Ihre Heimat war der mittel- und norddeutsche Raum zwischen Weser und Elbe, später wohl bis zur Oder; südlich begrenzt wurde sie durch die Mittelgebirge. Etymologisch leitet sich vom Begriff Sueben der spätere Stammesname der Schwaben ab. Als suebisch bezeichnete Stämme waren zur Zeit des Tacitus die Semnonen, Markomannen, Hermunduren, Quaden und Langobarden. Ob die Sueben somit eine Art germanischer Hauptstamm oder sogar ein eigens Volk waren, oder aber die genannten Stämme nur Stammesgruppen der Sueben waren, ist bisher strittig und für meine Betrachtungen auch nicht im Focus.

Am 31. Dezember 406 überquerte ein Stamm bzw. Kriegerverband mit Namen Suebi, begleitet unter anderem von Vandalen und Alanen, den Rhein vermutlich bei Mogontiacum (Mainz), wie spätantike Quellen berichten. Die Vandalen waren ein ostgermanischer Stamm, dessen Herkunft bisher nicht eindeutig geklärt werden konnte, sie siedelten wohl zu jener Zeit zwischen Oder und Weichsel. Die Alanen waren ein iranischer Stamm des Volkes der Sarmaten. Wie es dazu kam, dass diese drei weit auseinander wohnenden Stämme(Völker?) gemeinsam auf Wanderschaft gingen, entzieht sich bisher unserer Kenntnis. Das gilt auch für die Art und Weise der Flussüberquerung, ohne wohl von den Römern entscheidend daran gehindert worden zu sein. Zudem ist unklar wie groß die ziehenden Verbände waren, sie müssen jedoch sehr zahlreich gewesen sein, wie die folgenden Schilderungen zweifelsfrei untermauern. Wo dieser Tross entlang zog wurde geplündert und wohl auch gemordet: zunächst in Gallien, dann weiter in Hispanien (Iberische Halbinsel).

Vor einigen Jahren kontaktierte mich Herr Ralf Pochadt aus dem Rheinland. Er hatte einige Publikationen von mir gelesen und wollte von mir mehr über die Sueben wissen. Pochadt hat eine Ehefrau aus Asturien, was dazu führte, dass diese spanische Region zu seiner zweiten Heimat wurde. Seit vielen Jahren erforschte er die Geschichte Asturiens und war dabei auf den germanischen Stamm der Sueben aufmerksam geworden. In der deutschen Geschichtsforschung gibt es sehr wenig Erkenntnisse über diese Wanderung der Sueben (auch Sueven), sowie über ihre weitere Geschichte. Ralf Pochadt, der sehr gut Spanisch spricht, durchforstete die Bibliotheken und Archive in Asturien und recherchierte vor Ort.

Aber zurück zur Wanderung der Sueben, Vandalen und Alanen. Sicherlich war dieser Zug von Angehörigen weiterer Stämme und Völker durchmischt. Bei der Verwendung der Namen Sueben und Vandalen ist daher zu beachten, dass es sich bei den Menschen auf dieser Wanderung um bunt gemischte multiethnische Gruppen handelte, die sich auf dem jahrelangen Zug weiter untereinander vermischten. Im Jahr 409 hatte der Zug die iberische Halbinsel erreicht. Wie der portugiesische Bischof und Chronist Hydatius berichtet, kam es im Jahr 411 zu einem Föderationsvertrag zwischen den Sueben und dem weströmischen Kaiser Honorius. Die Weströmer waren anscheinend nicht in der Lage dem „Treiben der Barbaren“ Einhalt zu gebieten. Die Ansiedlung der Sueben soll demnach durch Losentscheid zustande gekommen sein: Die Sueben erhielten die römische Provinz Gallaecia als Siedlungsgebiet zugewiesen. Auch die Vandalen und Alanen hatten Siedlungsgebiet von den Römern in Hispanien erhalten, in direkter Nachbarschaft zu den Sueben. Sie zogen jedoch bald weiter nach Nordafrika, wo sie 429 ankamen, und gründeten dort das gefürchtete Königreich der Vandalen. Die Sueben siedelten sich auf dem Land an, dass sie von den Römern erhalten hatten, und nachdem die benachbarten Vandalen und Alanen weiter gezogen waren gehörte ihnen das gesamte heutige Asturien. Noch im Jahr 411 wurde unter Hermerich das Suebische Königreich begründet. Wie wir heute wissen hat sich die Königsfamilie selbst als Sueben bezeichnet. Nach den historischen Quellen sollen zunächst zwischen 20 000 und 35 000 Sueben in der Provinz Gallaecia sesshaft geworden sein, vor allem Frauen und Kinder, die Anzahl der Krieger soll relativ gering gewesen sein. Die ursprünglichen Hauptsiedlungsgebiete waren die Regionen um Braga, Lugo und Astorga. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich die Gründung des Suebenreiches schnell verbreitete und weitere Sueben und andere Stammesgruppen aus Germanien sich auf den Weg machten. Das Suebische Königreich bestand bis 585, dann wurde es von den Westgoten abhängig und später von diesen erobert und als Provinz ins Westgotenreich eingegliedert.

Nach der Schlacht am Río Guadalete (711) unterwarfen die Mauren in wenigen Jahren (711–719) die gesamte Iberische Halbinsel und vernichteten das Westgotenreich. Sie eroberten auch das gesamte Gebiet des ehemaligen Suebischen Königreichs, auf dem später das Königreich Asturien entstand. Nach der muslimischen Eroberung der Iberischen Halbinsel formierte sich jedoch zunehmender Widerstand der Einheimischen. Der lokale Anführer Pelayo (ein suebischer Adliger?) begann in den Bergen den christlichen Widerstand zu organisieren. Im Jahre 718 wählten ihn seine Anhänger zum Fürsten oder König; dieses Jahr gilt daher als Gründungsjahr des zunächst winzigen Reiches Asturien. Der Schwiegersohn von König Pelayo, Alfons I., (739–757) schuf die territoriale Grundlage für das Überleben und die weitere Expansion des Asturischen Königreichs. Den Höhepunkt seiner Macht erlangte das Königreich unter Alfons III. (866–910). In dieser Zeit hatte das Asturische Königreich auch seine größte Ausdehnung, es nahm den gesamten Nordteil der Iberischen Halbinsel ein.

Asturien sierra del SueveNun kommen wir zurück auf Ralf Pochadt und seine Asturien-Studien. Weil ich seine Arbeit sehr interessant fand und sie auch dazu beitragen kann, eine kleine Lücke in der Geschichte der Germanen zu schließen, habe ich ihn animiert ein Buch über dieses Thema zu schreiben. Sein Buch „Sierra del Sueve – auf den Spuren des vergessenen Königreichs der Sueven“ ist 2013 in meinem Verlag Sternal Media erschienen und hat die ISBN 978-3732299553. Pochadt fand heraus, dass die Sueben in den historischen Überlieferungen des ehemaligen Königreich Asturien, wie auch in der heutigen autonomen spanischen Gemeinschaft Asturien, keine Bedeutung mehr haben. Wie konnte es jedoch dazu kommen? Immerhin bestand das Suebenreich als selbstständiges Herrschaftsgebiet auch unter den Goten fort. Wurden die Sueben vertrieben oder über Nacht mit einer anderen Identität versehen? Bei seinen Recherchen zu diesem Thema stieß Pochadt auf eine erstaunliche Manipulation der Geschichte, die einen Erklärungsansatz dafür bietet, warum die Sierra del Sueve bis heute nicht mit der germanischen Stammesgemeinschaft der Sueben in Verbindung gebracht wird, obwohl die über Jahrhunderte gebräuchliche Bezeichnung des Monte Sueve einen Zusammenhang nahelegt. Die Sueben hatten sowohl im gotischen Reich, wie auch im nachfolgenden Königreich Asturien weiterhin erhebliche Bedeutung. Ihre Namen, ihre Traditionen, ihre Kultur – sogar ihr christlicher Glaube – wurden von den Goten schlicht übernommen und als gotisch bezeichnet. Besonders unter dem asturischen König Alfons III. wurden im 9. Jahrhundert die Chroniken am Hofe ideologisch und auch faktisch bearbeitet, um eine Kontinuität des Gotenreiches und des Asturischen Königreiches zu konstruieren. Wie so oft, orientierte sich auch in diesem Fall die Geschichtsschreibung nicht an den Fakten, sondern machtversessene Herrscher glorifizierten ihre eigene Geschichte und die ihres Geschlechtes nach ihrem Gusto, und keiner hat es gemerkt oder angezweifelt. Bis in die 70er Jahre zweifelte kaum jemand an den Chroniken des Asturischen Königreiches. Dann legten die zwei spanischen Historiker Abilio Barbero de Aguilera und Marcelo Vigil ihre Theorie über die Berbindungen der germanischen Sueben zum Gotenreich sowie zum Asturischen Königreich vor, die von Pochardts Arbeit später weiter untermauert und gefestigt wird. Dennoch hält der Historikerstreit bis heute an – besonders in Spanien werden die germanischen Sueben gern geleugnet. Geschichte wird halt von Menschen geschrieben und hält sich dabei nicht immer an Fakten.

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Es folgt Völkerwanderungen IV. – Sinti & Roma




Verwandtschaft aus der Bronzezeit

HEZ MaB - M3 + Manfred Huchthausen - Nachfahre von M1 - frontal quer - Foto Günter Jentsch 300dpi - Bildrechte HEZ
HEZ MaB – M3 + Manfred Huchthausen – Nachfahre von M1 – frontal quer – Foto Günter Jentsch 300dpi – Bildrechte HEZ

Eines hat jeder Mensch – Verwandtschaft. Fast jeden Menschen interessiert seine Familie. Viele interessieren sich für Genealogie und können stolz auf einen Stammbaum von ein paar hundert Jahren verweisen. Nach wie vor ist jedoch die Stammesgeschichte des Menschen nicht klar, sie ist heute wohl umstrittener denn je.

Wer kann da schon 3.000 Jahre alte Ahnen vorweisen, Ahnen aus der Bronzezeit? Sicherlich keiner werden Sie jetzt wohl denken. Schriftliche Aufzeichnungen gibt es im sogenannten germanischen Kulturraum erst seit der Völkerwanderungszeit bzw. dem Frühmittelalter. Als ältestes schriftliches Zeugnis einer germanischen Schriftsprache wird die Wulfilabibel angesehen, und die stammt aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. Und dennoch, es gibt zwei Männer, die können auf eine 3.000jährige Abstammung verweisen und diese Männer stammen aus dem Harz, aus dem Raum Osterode.

Alles begann 1972 mit der neuzeitlichen Entdeckung einer Höhle im Vorharzer Höhenzug Lichtenstein, gelegen bei Osterode am Harz, zwischen Förste und Dorste. Die Höhle wurde bald darauf verschlossen und zum Naturdenkmal erklärt. Anfang 1980  begannen fünf Harzer Höhlenforscher die Höhle weiter zu erkunden. Sie stießen auf eine Gesteinsspalte die unzugänglich erschien und erweiterten diese. Als sie weiter vordrangen, entdeckten sie einen neuen, unbekannten Höhlenteil, der sich in fünf miteinander verbundene Höhlenkammern von insgesamt 40qm darstellte. Dort machten die Fünf eine aufsehenerregende Entdeckung: Die Höhlenkammern waren übersät von tausenden menschlichen und tierischen Knochen sowie Bronzegegenständen und Keramik.

Dieser Fund stellte eine wissenschaftliche Sensation für die archäologische Forschung dar. Die oberflächennahen Funde waren infolge des Höhlenklimas von einer dicken Schicht Gipssinter bedeckt, die wie eine Konservierungsschicht wirkte. Außergewöhnlich war auch, dass dieser Fundort über 2 500 Jahren ungestört blieb. Auch war in den Kulturen jener Zeit die Brandbestattung der übliche Ritus, Körpergräber wie in diesem Fall sind hingegen die Ausnahme.

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Die Archäologie war zwar anfangs euphorisch, bis auf einige Skizzierungen und Notbergungen tat sich jedoch in den folgenden Jahren wenig. Es waren wohl die technischen Schwierigkeiten der Bergung in einer engen Höhle, die der Behörde Schwierigkeiten bereitete.

1992 brachen Raubgräber dann gewaltsam in die Höhle ein und nahmen einige Fundstücke mit, die sie jedoch später zurückgaben. Diese Aktion zwang das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege zum baldigen Handeln. In jährlichen Kampagnen wurde die Höhle von 1993 bis 2011 wissenschaftlich untersucht und alle Befunde geborgen. Bei diesen Arbeiten wurde in einem Nebengang noch ein umfangreicher Bronzehort entdeckt.

Unter der Leitung von Kreisarchäologe Dr. Stefan Flindt wurden etwa 5 500 menschliche Knochenteile gefunden, die sich etwa 65 bis 70 Individuen zurechnen lassen. Darüber hinaus wurden rund 100 Bronzegegenstände (Ohr-, Arm- und Fingerringe, Armreife) und Keramikteile sichergestellt. Die Bronze- und Keramikfunde ließen sich zeitlich der Hallstattperiode vom 10. bis 8. Jahrhundert v. Chr. zuordnen, so dass dieser Abschnitt als Nutzungszeitraum der Höhle anzunehmen ist.

An den Knochenfunden war jedoch etwas außergewöhnlich, vielleicht einmalig: Durch das kalkhaltige Wasser der Höhle sowie die konstant niedrige Temperatur waren die Knochen sehr gut erhalten, praktisch konserviert. Selbst die DNA der Knochensubstanz war noch vorhanden und ließ sich molekularbiologisch untersuchen. Die DNA-Analyse und der daraus gewonnene genetische Fingerabdruck ergaben eine wissenschaftliche Sensation. Dr. Susanne Hummel und ihr Team vom Göttinger Institut für Anthropologie hatte die DNA von 22 Personen aus drei Generationen typisiert und damit den bislang ältesten bekannten Familienclan der Welt genetisch nachgewiesen. In drei Fällen handelt es sich bei den Personen um Eltern und Kinder, in zwei weiteren Fällen sind es ein Elternteil mit Kindern. Bei 15 der 22 DNA-typisierten Personen liegen Verwandtschaftsbeziehungen vor.  Inzwischen sind sogar 62 Individuen genetisch identifiziert, die in der Höhle begraben waren, und wahrscheinlich sogar 4 – 5 dem Familienclan zugehörige Generationen. Ein analysiertes spezifisches Gen-Muster eines der gefundenen Männer ließ eine Idee aufkeimen. Gibt es noch Nachkommen der Bronzezeitmenschen in der Region und lassen sich diese ausfindig machen?

Es folgte ein Aufruf zum Speicheltest an Alteingesessene der 6 umliegenden Orte. Diese einzigartige Aktion fand regen Zuspruch, 270 Anwohner stellten sich der Wissenschaft zur Verfügung. 2007 folgte der wissenschaftliche Paukenschlag. 2 Männer wurden als ferne Verwandte ermittelt, abstammend über etwa 120 Generationen vom selben Mann, „Eindeutig wie beim Vaterschaftstest“ so Dr. Hummel. Berufsschullehrer Manfred Huchthausen und Landvermesser Uwe Lange, die sich vorher nur vom Sehen kannten, haben einen gemeinsamen, 3.000 Jahre alten Stammbaum. Somit hat der Harz eine Novität in der Wissenschaftswelt, den bislang ältesten nachgewiesenen Stammbaum der Welt.

Seit Juli 2008 hat das nahe gelegene Bad Grund eine neue Harzer Besucherattraktion. Das HöhlenErlebnisZentrum Iberger Tropfsteinhöhle wurde nach nur 15 Monaten Bauzeit und einer Investition von 3,65 Mio. Euro eröffnet. Erste Überlegungen dazu, und somit die Idee, kamen vom Ausgräber Kreisarchäologen Dr. Flindt; umgesetzt wurde es unter der Leitung des 2010 verstorbenen Denkmalpflegers Reinhard Roseneck.

Entstanden ist zum einen ein Übertage-Museum, dass die sensationellen Ergebnisse der Erforschung der Lichtenstein-Höhle präsentiert. Auch die Rekonstruktion der Köpfe von einer jungen Bronzezeitfrau und ihrer Eltern sind zu bestaunen, und das Höhlengrab wurde 1:1 nachgebaut. Das Höhlenerlebniszentrum hat aber noch zwei weitere Teile: ein Museum im Berg und die Iberger Tropfsteinhöhle. Das „Museum im Berg“ ist ein 160 m langer Stollen – der in den Berg gesprengt wurde. Unter dem Motto „Ein Riff auf Reisen“ wird so anschaulich die Geschichte des Ibergs dargestellt.