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Der letzte Versuch den 2. Weltkrieg zu verhindern – letzter Teil

Am 1. September 1939 um 8 Uhr morgens traf Birger Dahlerus wie vereinbart bei Hermann Göring ein. Hermann Göring wirkte bedrückt und redete über allerhand unwesentlicher Dinge. Doch dann berichtete er Dahlerus, dass in der Nacht polnische Freischaren die Radiostation Gleiwitz besetzt hätten. Von dort hätten sie dann die Mittelung verbreitet, das die Polnische Armee in Deutschland eingedrungen sei und es zu mehreren schweren Gefechten zwischen polnischen und deutschen Einheiten gekommen sei. Dieser angebliche Vorfall wurde von Hitler als polnische Kriegserklärung an Deutschland gesehen.
Heute gilt als gesichert, gemäß der Aussage von SS-Sturmbannführer Alfred Naujocks, dass dieser vom Chef des SD Reinhard Heydrich den Befehl zu dieser Geheimoperation erteilt bekommen hatte und dass dieses Täuschungsmanöver „Unternehmen Tannenberg“ von deutschen SS-Kräften ausgeführt wurde. Laut Naujocks hatte Heydrich gesagt: „Ein tatsächlicher Beweis für polnische Übergriffe ist für die Auslandspresse und für die deutsche Propaganda nötig.
Ob Göring zu diesem Zeitpunkt die Wahrheit über diese Ereignisse wusste ist nicht geklärt, nach den Schilderungen von Dahlerus jedoch anzuzweifeln.
Göring berichtete in seinem Salonwagon Dahlerus, dass Hitler nach dieser polnischen Kriegserklärung in der Nacht dem Deutschen Heer den Befehl erteilt habe, in Polen einzumarschieren und die Polen zurückzuschlagen. Zudem sei der Befehl an die deutsche Luftwaffe gegangen, die polnische Fliegerei zu zerstören.
Hitler hatte den Frieden gebrochen und begonnen Polen mit Waffengewalt zum Nachgeben zu zwingen – so sah es der Schwede Birger Dahlerus. Das Gespräch war nicht von langer Dauer. Göring musste zur Reichstagsversammlung nach Berlin und Dahlerus begab sich in die englische Botschaft.
Henderson und Dahlerus hörten Hitlers Rede und waren sich einig, dass die Lage wenig hoffnungsvoll war. Es drohte ein verheerender Krieg in ganz Europa.
Kurz nach 11 Uhr erhielt Dahlerus einen Anruf von Göring, der Dahlerus bat in die Reichskanzlei zu kommen, da Hitler eine Rücksprache mit ihm wünsche. Dahlerus hatte zwar Bedanken, sagte aber dennoch zu. Kurze Zeit später wurde er abgeholt und in die Reichskanzlei gebracht. Dort wurde er von Göring empfangen, der ihm stolz mitteilte, dass er von Hitler zu dessen Stellvertreter ernannt worden war. Weiterhin teilte er Dahlerus mit, dass er zwar loyal zur Politik des Deutschen Führers stehen müsse, sich aber dennoch weiterhin für einen Friedensprozess einsetzen würde.
Dann brachte Göring Dahlerus zu Hitler. Dahlerus bezeichnet Hitlers Auftreten als „anomal , wie von Sinnen“. Zwar dankte Hitler Dahlerus für seine Friedensbemühungen, schob jedoch das Misslingen allein auf England. Göring versuchte einzulenken woraufhin Hitler sich zu weiteren Gesprächen mit England bereit erklärte. Doch schon im nächsten Augenblick schien er erneut die Kontrolle zu verlieren. Gemäß Dahlerus begann er erregt zu schreien und wild zu gestikulieren: „ Wenn aber die Engländer nicht verstehen, dass sie es in ihrem eigenen Interesse vermeiden müssen, mit mir zu kämpfen, so werden sie ihren Fehler teuer bezahlen müssen. Wenn England ein Jahr kämpfen will, so werde ich ein Jahr kämpfen; wenn England zwei Jahre kämpfen will so werde ich zwei Jahre kämpfen; wenn England drei Jahre kämpfen will so werde ich drei Jahre kämpfen und wenn es erforderlich ist, so werde ich auch zehn Jahre kämpfen.“

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Dahlerus verlies Hitler mit der Erkenntnis, dass von diesem nichts Gutes zu erwarten war. Er fuhr dann mit Göring ins Esplanada zum Lunch. Dabei versuchte er zu ergründen, ob Göring wirksame Schritte unternehmen könnte und würde, um den Krieg aufzuhalten – zu einem Ergebnis kam er jedoch nicht.
Dieser Tag verging mit Gesprächen, die Dahlerus wechselseitig mit Göring und der englischen Botschaft führte. Der Schwede wollte, trotz der aussichtslos erscheinenden Lage, in dieser Situation seine Bemühungen nicht aufgeben.
Am 2. September um 8 Uhr traf Dahlerus wiederum mit Göring zusammen. Doch er erkannte, das Göring sich verändert hatte und den Ernst der Situation wohl nicht erkannt hatte oder aber nicht erkennen wollte.
Nach einer englischen Note vom 1. September, die von deutscher Seite nicht beantwortet worden war, überbrachte der britische Botschafter Henderson am Sonntag, den 3. September 1939, gegen 9 Uhr ein Ultimatum an Außenminister Ribbentrop. Dieses Ultimatum verlangte Bescheid von der deutschen Regierung über die bereits am 1. September nachgefragten Punkte bis 11 Uhr des Tages: 1. Wann und ob Deutschland die Feindseligkeiten gegen Polen einstellt; 2. Wann und ob die deutschen Truppen sich wieder hinter die deutschen Grenzen zurückziehen werden.
Dahlerus und Göring diskutierten dann das englische Ultimatum. Dann einigte man sich, dass Göring unverzüglich Hitler anrufen sollte, um von diesem den Standpunkt zu erfahren. Es waren Minuten des Bangens. Göring telefonierte mit Hitler und Dahlerus aus Görings Sonderzug mit London und es schien nochmals einen Funken Hoffnung zu geben. Jedoch die Zeit verstrich ohne eine Annäherung zu erzielen. Göring konnte nichts mehr beeinflussen und auch nicht Birger Dahlerus. Beide waren zum Warten verdammt, das Geschehen hatte eine Eigendynamik entwickelt die wohl nicht mehr aufzuhalten war.
Dahlerus saß noch immer mit Göring zusammen, es war mittlerweile 11.15 Uhr, als einige höhere deutsche Offiziere kamen und Hermann Göring, dem zweiten Mann im Deutschen Reich, eine Mitteilung überreichten. Göring trug Dahlerus die Nachricht vor: Sie besagte, Chamberlain habe gleich nach 11 Uhr im Rundfunk die Nachricht bekanntgegeben, das Großbritannien sich mit Deutschland im Kriegszustand befinde, da Deutschland die Note nicht vor 11 Uhr beantwortet habe.
So war auch der letzte Versuch einen neuen Weltkrieg zu vermeiden, gescheitert. Der schwedische Industrielle Birger Dahlerus hatte sich wochenlang ins Zeug gelegt und mit den höchsten Vertretern aus Deutschland und Großbritannien verhandelt und äußerst viel diplomatisches Geschick bewiesen. Kein anderer war wohl so in die Kriegsverhinderungsdiplomatie verstrickt, kein anderer Zeitzeuge war mehr involviert als dieser Schwede, dessen Engagement heute kaum noch bekannt ist und dessen geschichtsträchtiges Wissen um diese Geheimverhandlungen kaum Eingang in die Geschichtsschreibung gefunden hat.




Der letzte Versuch den 2. Weltkrieg zu verhindern – 9. Teil

Am Mittwoch den 30. August 1939 morgens um 5 Uhr startete Birger Dahlerus von einem Militärflugplatz bei Berlin, um 9 Uhr landete das deutsche Flugzeug auf dem Kleinflugplatz Heston nahe London. Dort wurde er erwartet und über einige Wagenwechsel zum Foreign Office gebracht. Unterwegs wunderte er sich über die Sonderplakate einer Morgenzeitschrift, die verkündete: „Das geheimnisvolle Flugzeug verließ Berlin heute Morgen um 5 Uhr.“ Wie hatten die Briten davon schon wieder Wind bekommen?
Um 10.30 Uhr traf Dahlerus in Dowingstreet 10 mit Chamberlain, Halifax und Sir Horace Wilson, Chamberlains rechter Hand, zusammen. Er erstattet Bericht über das Gespräch mit Göring und legte auch Görings Polen-Karte zur Einsicht und Diskussion vor. Chamberlain war sehr verärgert über die deutsche Regierung, dennoch wollte er am Friedensprozess festhalten.
Dahlerus schlug vor, dass die englische Regierung der polnischen Regierung folgende Maßnahmen zur Deeskalation empfehlen sollte:
1. Auf deutsche Flüchtlinge oder Mitglieder der deutschen Minderheitspartei nicht zu feuern, auch wenn diese versuchen Unruhen zu erregen, sondern sie stattdessen nur in vorläufige Haft zu nehmen.
2. Von Gewalttaten gegenüber der deutschen Minderheitspartei abzusehen und auch zu verhindern, dass die polnische Bevölkerung Gewalttätigkeiten begeht.
3. Mitglieder der deutschen Minderheitspartei über die Grenzen nach Deutschland fliehen zu lassen, ohne dass diese hieran vom polnischen Militär oder sonstigen polnischen Behörden gehindert werden.
4. Eine Verschärfung der Lage durch unkluge Rundfunkpropaganda zu verhindern.
Diese Vorschläge wurden von der englischen Regierung am Nachmittag fast wörtlich an die englische Botschaft in Warschau telegrafisch weitergeleitet und von dort umgehende der polnischen Regierung zugestellt.
Birger Dahlerus berichtete Chamberlain auch von den angeblichen „großzügigen Vorschlägen“, die Hitler gerade für Polen ausarbeiten würde und die noch an diesem Tag vorgestellt werden sollten. Die Engländer erklärten sich bereit auch diesen Prozess zu unterstützen, lehnte jedoch ab das die Verhandlungen zwischen Polen und Deutschland in Berlin stattfinden sollen. Stattdessen wurde ein neutraler Verhandlungsort von den Engländern vorgeschlagen. Dahlerus rief daraufhin Göring direkt aus dem Foreign Office an um ihm dies mitzuteilen, stieß aber auf wenig Zustimmung.
Wie mit Chamberlain vereinbart trat Dahlerus am frühen Abend, nach umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen und Täuschungsmanövern, den Rückflug nach Berlin an. Gegen 23 Uhr traf er in Berlin-Tempelhof ein, wo er bereits erwartet wurde. E wurde zu Göring gebracht, der sich in seinem Sonderzug im Umfeld von Berlin aufhielt. Dahlerus berichtete Göring gegen 0.30 Uhr, der gegenüber dem Vortag in guter Laune war, über die Gespräche in London. Und er führte ganz explizit aus, dass der englischen Regierung das Vertrauen gegenüber der deutschen abhanden zu kommen drohte. Göring beschwichtigte daraufhin und teilte mit, dass Hitlers weiterhin ein einem Übereinkommen mit England interessiert sei und zudem das Angebot an Polen vorliege. Dann las er Dahlerus das von Hitler erarbeitete Polen-Angebot vor, dass dem ähnlich war, dass er Dahlerus einen Tag zuvor geschildert hatte. Zudem teilte Göring Dahlerus mit, dass am Abend ein Treffen zwischen Ribbentrop und Henderson stattgefunden haben sollte, um dem Engländer die Polen-Offerte zu übergeben. Weiter äußerte Göring, dass er leider noch keine Information über dieses Gespräch habe.
Daraufhin schlug Dahlerus vor, doch gleich Forbes in der englischen Botschaft anzurufen, um in Erfahrung zu bringen, welchen Verlauf das Gespräch genommen hat. Göring stimmte zu und Dahlerus rief Forbes an.

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Dieser wirkte am Telefon ruhig und besonnen wie immer. Doch dann äußerte er, dass das Gespräch zwischen Ribbentrop und Henderson leider sehr unglücklich verlaufen sei. Weiter führte er aus, dass Ribbentrop von Anfang an sehr abweisend, rüde und unhöflich gegenüber Henderson gewesen sei. Er hatte dann ein Papier aus seiner Jacke geholt und geäußert, dass er nun die Bedingungen für Polen verlesen werde. Henderson der zwar annehmbar Deutsch sprechen konnte, verstand von Ribbentrops Vortrag jedoch nur wenige Worte, da dieser unmotiviert und schnell seinen Text verlas, und das Schriftstück, ohne Henderson eine Kopie bereitzustellen, wieder in seiner Jacke verstaute.
Henderson ersuchte dann Ribbentrop darum, ihm diese Note auszuhändigen. Die schnöde Antwort Ribbentrops darauf sei gewesen: „Es wäre nun zu spät, die Uhr über 12 Uhr und die Frist abgelaufen, die Polen hätten mithin ihre Chance verpasst.“ Nach einem heftigen kurzen Wortwechsel hätten sich beide in sehr feindseliger Stimmung getrennt.
Schockiert legte Dahlerus den Telefonhörer nieder und berichtete Göring. Dann sagte er: Wenn Ribbentrop jede Gelegenheit zu versuchen benutzt, die Vorschläge zu einer Regelung zu sabotieren, bestehen keine Aussichten, dass Ihre und meine Versuche einen Erfolg haben können.“ Dem stimmte Göring zu.
Göring nahm es, nach Aufforderung von Dahlerus, auf seine Kappe, eine Abschrift der Polen-Note der englischen Botschaft zur Verfügung zu stellen. Doch der nächtliche Versuch der telefonischen Übermittlung verlief auf Grund von Sprachproblemen nicht zufriedenstellend.
Am nächsten Morgen, dem 31. August gegen 10 Uhr, fuhr Dahlerus in die englische Botschaft, um dem Botschafter das Schriftstück zur Weiterleitung nach London zu übergeben. Henderson empfing Dahlerus und man besprach die kritische Situation. Als Ergebnis des Gesprächs, und um eine Katastrophe zu verhindern, schlug Henderson vor, sofort mit dem polnischen Botschafter in Berlin in Kontakt zu treten. Dahlerus gefiel dieser Vorschlag nicht, er ließ sich jedoch dazu überreden. Henderson telefonierte mit dem polnischen Botschafter Lipski und teilte ihm mit, dass sogleich Botschaftsrat Forbes sowie der Schwede Dahlerus bei ihm vorstellig werden würden und bat darum die beiden unverzüglich zu empfangen.
Umgehend fuhren Dahlerus und Forbes dann zur polnischen Botschaft. Dor saß man jedoch schon auf gepackten Koffern. Zudem erweckte Botschafter Lipski nicht den Eindruck die bevorstehende Eskalation verhindern zu wollen.
Mehr dazu demnächst.