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Der erste Raketenversuch der Neuzeit

Es war einmal, so fangen fast alle Märchen an. Ich möchte Ihnen jedoch kein Märchen erzählen, sondern Ihnen von dem ersten Raketeneinsatz berichten.

BuchcoverEs war einmal ein junger Pilot namens Rudolf Nebel, der 1894 in Weißenburg/Bayern geboren worden war. Er hatte bereits einige Semester Ingenieurswissenschaften an der Tu München studiert, als er mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges als Soldat eingezogen wurde. Auf Grund seiner technischen Vorbildung wurde er ab Januar 1916 zum Jagdpiloten ausgebildet. Er diente unter Oberleutnant Hans Berr in der Jasta 5. Nach einem Luftgefecht schwer verletzt, kam Nebel in ein Lazarett. Dort hatte er Zeit um über seinen Luftkampf nachzudenken. Hatte er Fehler gemacht, was hätte er besser machen können, wie könnte er solch einer Situation beim nächsten Mal seinen Stempel aufdrücken?  Er erkannte, dass es überaus nützlich wäre, die Angriffsdistanz während eines Luftkampfes vergrößern zu können., was jedoch mit den damals üblichen Maschinengewehrwaffen nicht möglich war. So begann er über neue Waffensysteme nachzugrübeln: Dabei kam ihm wieder in den Sinn, wie sein Mathematiklehrer einst von alter chinesischer Kriegsführung mittels Raketen berichtet hatte. Demnach setzte die Chinesen Im Krieg gegen die Mongolen, in der Schlacht von Kaifeng im Jahr 1232 eine Art Rakete ein. Sie sollen eine Vielzahl simpler, von Schwarzpulver angetriebener Flugkörper auf die gegnerischen Mongolen abgefeuert haben. Eine Idee, die Rudolf Nebel faszinierte und die er ausprobieren wollte. Noch im Lazarett fertigte er Zeichnungen und Skizzen und stellte Berechnungen an. Wieder genesen und zurück bei seiner Einheit, machte er sich ans Werk. Für sein Raketenprojekt verwendete er simple Ofenrohre, die er mit Infanterie-Signalraketen bestückte. Die so hergestellten Raketenwerfer montierte er unter die Tragflächen seines Halberstadt-Doppeldeckers. Vom Zündmechanismus verlegte er ein Kabel in sein Cockpit, und installierte einen Zündschalter, an den er das Kabel anschloss.

„Die Teufelsinstrumente unter meiner Halberstadt erschien allen unheilvoll. Diese kommende Nacht konnte ich kaum schlafen“, schrieb Nebel darüber. Am folgenden Tag erhielt die Jasta 5, zu der Leutnant Nebel gehörte, den Einsatzbefehl. Folgende Schilderung von ihm über diesen Einsatz ist überliefert: „25 Flugzeuge stiegen auf. Ich achtete nicht mehr auf meine Staffelkameraden, die schneller steigen konnten, als mein Flugzeug mit seinen vier Ofenrohren. Zu Überlegungen war keine Zeit. Ich flog direkt auf einen feindlichen Verband zu und drückte automatisch auf einen kleinen Knopf am Steuerknüppel. Es war eine enorme Entfernung (über 328 Fuß =110m), verglichen mit dem üblichen Gefechtsbereich. Unter meinen Tragflächen tanzte ein Feuerwerk, dann schoss ein riesiger Rauschschweif durch die englische Schwadron. War ich erfolgreich? Tatsächlich! Ein englischer Pilot führte mit seinem Doppeldecker einen Sturzflug durch und landete auf dem nächsten Feld. Ich folgte ihm, indem ich abdrosselte und etwa 20 m entfernt landete. Der Tommy versuchte nicht den Trick, sich zu ergeben und dann im letzten Moment zu entkommen. Die neue Waffe hatte ihn derart erschreckt, dass er sich ohne Widerstand ergab. Acht Tage später entdeckte ich, dass die Ofenrohre mehr als nur eine moralische Wirkung hatten. Während dieser Operation zerschoss ich den Propeller einer feindlichen Maschine, die abstürzte.“ Dies war wohl der erste Raketeneinsatz der Neuzeit, auf jeden Fall jedoch der erste von einem Flugzeug aus.

Eine Woche später entging Leutnant Nebel nur knapp einer Katastrophe. Er hatte seinen Raketenwerfer unter die Tragflächen einer Albatros D III montiert. Beim Raketenabschuss entzündeten die heißen Brenngase der Rakete die Tragflächen. Nebel musste eine Bruchlandung hinlegen und hatte Glück, dass er nur leichte Verletzungen davontrug. Nach diesem Vorfall wurden weitere Versuche und Experimente in der Staffel verboten; Piloten waren äußerst wertvoll und das Risiko durch Eigenverschulden Pilot und Maschine zu verlieren war den Vorgesetzten dann wohl doch zu hoch.

Der junge Kampfpilot Hermann Göring, der später Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe wurde, schuf in einem Bericht an das Oberkommando einen prägenden Begriff für den Raketenpionier: Nebelwerfer. Von diesem Begriff wurde im 2. Weltkrieg der Name der deutschen Granatwerfer abgeleitet, die man als Nebelwerfer bezeichnete.

Nach dem Krieg beendete Nebel sein Ingenieurstudium und wurde zu einem der bedeutendsten Raketen- und Raumfahrtpioniere der 1920er und 30er Jahre. 1934 im Zusammenhang mit dem Röhm-Putsch verhaftet und von jeglicher Raketenentwicklung auf Lebenszeit ausgeschlossen, gründete Nebel ein Ingenieurbüro. Erst nach Kriegsende konnte er sich erneut der Raketen- und Raumfahrtforschung zuwenden.