Archiv der Kategorie: Wissenschaft

In der Wissenschaft wird fleißig gearbeitet und geforscht, jedoch braucht es ab und an auch einen klugen Gedanken. Denn wenn alle Berechnungen versagen ist dies nicht Zufall, sondern Unwissen.

Bernd Sternal

Pilze, die geheimnisvollen Lebewesen

Brasilianischer Mandel-Egerling (Agaricus subrufescens)
Brasilianischer Mandel-Egerling (Agaricus subrufescens)

Lange wurden die Pilze dem Reich der Pflanzen zugeordnet – ihrer Sesshaftigkeit wegen. Heute gelten sie aufgrund ihrer physiologischen und genetischen Eigenschaften als eigenes Reich und enger mit Tieren als mit Pflanzen verwandt. In der Biologie werden die Pilze der Domäne der Eukaryoten zugerechnet. Unter diesen Eukaryoten werden alle Lebewesen zusammengefasst, deren Zellen einen Zellkern aufweisen, also auch Tiere und Pflanzen.

Das Reich der Pilze (fungi) ist jedoch das Reich aller Lebewesen, über das wir wohl noch am wenigsten wissen. Unter Pilzen verstehen wir im allgemeinen nur die Fruchtkörper der Myzelpilze, die oberhalb der Erde wachsen. Dabei stellt das zumeist unterirdische, zum Teil weit ausladende Myzel den eigentlichen Pilz dar. Es gibt jedoch auch noch eine andere Wachstumsform ohne Myzel: Die Einzeller, wie sie beispielsweise in Hefen leben.

Wir wollen uns jedoch den Vielzellern zuwenden, zu denen in der Biologie auch die Schimmel- und die Ständerpilze zählen. Letzterer Abteilung soll nun unsere Aufmerksamkeit gelten, die ca. 30 000 Arten umfasst. Zu ihr rechnet man auch die Pilze, die unter dem küchensprachlichen Oberbegriff der Speisepilze zusammengefasst werden. Darunter wird ein Ständerpilz verstanden, dessen Fruchtkörper genießbar oder wohlschmeckend ist.

Denken wir an riesige Lebewesen, so fallen uns zunächst spontan der Elefant, der Wal und der Mammutbaum ein. Es gibt jedoch weitaus größere Lebewesen: Pilze. Ein Riesenhallimasch im „Malheur Nationalpark“ in Oregon, USA, ist weit über 2 400 Jahre alt und breitet sich auf 9 Quadratkilometer aus – das sind etwa 1 200 Fußballfelder. Seine einzelnen Fruchtkörper sind nur etwa 12 cm hoch, der gewaltiger Körper – das Myzel – des Megapilzes breitet sich jedoch bis zu einem Meter tief unter der Erde aus und hat ein Gesamtgewicht von ca. 600 Tonnen – das entspricht etwa dem von 3 bis 4 Blauwalen. Dieser Hallimasch-Pilz ist der bisher größte entdeckte seiner Art und zugleich das weltweit größte und schwerste Lebewesen auf unserem Planeten. Sein unverfänglicher Name ist trügerisch, der Hallimasch ist ein Waldkiller. Sein Myzel dringt mit Hilfe von Enzymen in die Bäume des Waldes ein und breitet sich unterhalb der Rinde immer weiter aus. Auf diese Weise entzieht der Hallimasch den Bäumen Wasser und Nährstoffe und bringt ihnen einen schleichenden Tod.

Hallimasch im Harzwald
Hallimasch im Harzwald

Pilze können jedoch nicht nur riesig groß, sehr alt und auch überaus wohlschmeckend sein, sie haben auch als Heilmittel für den Menschen eine lange Tradition. Aus dieser Anwendung von Heilpilzen bzw. deren Fruchtkörper heraus, hat sich in neuer Zeit die Mykotherapie entwickelt. Dieser Begriff geht vermutlich auf den ungarisch-deutschen Mykologen (Pilzwissenschaftler) Jan Ivan Lelley zurück. Der hochdekorierte Wissenschaftler bezeichnete in seinem Buch „Die Heilkraft der Pilze – Gesund durch Mykotherapie“ – erstmals erschienen im Jahre 1997 – die Mykotherapie auch als „Wissenschaft des Einsatzes von Großpilzen mit Heilwirkung“ und fordert deren Anerkennung als „eigenständigen Bereich der Naturheilkunde“.

Pilze werden in China sowie weiteren asiatischen Ländern und auch in Südamerika in der Medizin schon seit Jahrhunderten als Heilmittel angewandt. Neben der Anwendung in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) hatte die Pilztherapie besonders in Brasilien große Bedeutung. Besonders bekannt ist daher der aus Brasilien stammende Agaricus blazei murill (auch Agaricus subrufescens), kurz ABM genannt.

Seit einigen Jahren finden im zweijährigen Rhythmus internationale Kongresse statt – in diesem Jahr in Kolumbien -, auf denen die medizinische Wirksamkeit von Pilzen diskutiert und neue diesbezügliche Erkenntnisse ausgewertet werden. Auf dem diesjährigen Kongress wurde insbesondere die Wirkung des ABM auf Autoimmunkrankheiten der Schilddrüse erörtert. Darunter versteht man in der Medizin einen Überbegriff für Krankheiten, deren Ursache eine überschießende Reaktion des Immunsystems gegen körpereigenes Gewebe ist. In Kolumbien stellte der italienische Arzt Walter Ardigo seine Erfolge, bei der Bekämpfung dieses Schilddrüsen-Krankheitsbildes mit Hilfe eines Pulvers vom ganzen Pilz, vor. Nach seinen Angaben normalisierten sich bei den Patienten mit Hilfe des ABM-Extraktes die Antikörper und auch die Schilddrüsenhormonwerte.

Halfsize Traumb. V1

Wegen seines hohen speziellen D-Glucan-Gehaltes (Polysaccharide) findet Agricus auch in der alternativen Krebstherapie sowie bei Diabeteserkrankungen, besonders in Japan und den USA, Anwendung; entsprechende anerkannte wissenschaftliche Studien stehen jedoch bislang aus. Auch konnten, trotz angeblich vorzuweisender Therapieerfolge, biochemische, pharmakologische und toxikologische Aspekte wohl bisher nicht hinreichend untersucht werden.

Dennoch gelten die positiven Wirkmechanismen dieses Heilpilzes als unstrittig und ihre zahlreichen Inhaltsstoffe als förderlich eingreifend in das Stoffwechsel- und Immunsystem. Wohl auch nicht zu unterschätzen ist das im Pilz enthaltene Antibiotika, schließlich stammt ja auch das bekannte Penicillin aus Pilzen. Jedoch ist nicht zu verkennen, dass es noch reichlich Forschungspotential in diesem Zusammenhang geben wird. Von einigen Forschern wird die Identität des ABM mit der des Agaricus sylvaticus – des Waldchampignons aus Mitteleuropa – gleichgesetzt. Obwohl beide Pilzarten äußerlich kaum zu unterscheiden sind, fehlen für diese Postulierung bisher die schlüssigen Beweise.

In Asien, Südamerika und den USA wird ABM seit etwa 20 Jahren kommerziell angebaut und sowohl als Speisepilz verkauft, wie auch zu Heilmitteln verarbeitet. Eine Zulassung der Präparate als Arzneimittel besteht in Deutschland nicht, als Nahrungsergänzungsmittel können sie dennoch erworben werden, ohne jedoch medizinische Versprechen abgeben zu dürfen.




Jahr ohne Sommer und ohne Sonne

Vulkan Tambora
Vulkan Tambora

Als ich vor einigen Wochen vor einer Gruppe gestandener Akademiker und Akademikerinnen einen Vortrag über die Geschichte Mitteldeutschlands gehalten habe, war ich erstaunt, als ich auf das „Jahr ohne Sommer“ zu sprechen kam: keine von meinen Zuhörern hatte je davon gehört. Dabei sind seit diesem gravierenden Naturereignis nur zweihundert Jahre vergangen.

Im April des Jahres 1815 kam es auf der indonesischen Insel Sumbawa zu einem gewaltigen Ausbruch des Vulkans Tambora. Mit Stärke 7 auf dem Vulkanexplosionsindex war dieser Ausbruch der stärkste seit etwa 26.500 Jahren, als der neuseeländische Supervulkan Taupo ausgebrochen war; dieser Taupo-Ausbruch gilt mit Stufe 8 als der größte jemals nachgewiesene.

Der Ausbruch des Tambora im Jahr 1815 war ein Naturereignis, dass globale Auswirkungen hatte. Das war den Menschen in anderen Ländern und Kontinenten jedoch nicht bewusst. Erst 1920 fand der amerikanische Klimaforscher William Jackson Humphreys eine Erklärung für das „Jahr ohne Sommer“, das Jahr 1816. Er führte die weltweiten Klimaveränderungen in jener Zeit auf den Ausbruch des Tambora in Indonesien zurück.

In einem Forschungsbericht des Max-Planck-Institutes für Meteorologie aus dem Jahr 2002 wird geschätzt, dass bei diesem Vulkanausbruch etwa 150 qkm Staub und Asche in die Atmosphäre geschleudert wurden; hinzu kamen noch Schwefelverbindungen. Unter Anwendung der Stöchiometrie errechnete man daraus eine Schwefeldioxidmenge von ungefähr 130 Megatonnen, die ebenfalls unsere Atmosphäre belasteten. Staub, Asche und Schwefeldioxid verteilten sich wie ein Schleier um die ganze Erde.

Die daraus resultierenden Klimaveränderungen und Wetterkapriolen betrafen, zum Teil mit erheblichen Zeitverzögerungen, alle Kontinente – besonders jedoch die Nordhalbkugel. Die daraus resultierende Abkühlung des Weltklimas dauerte bis 1819/20 an.

Am gravierendsten waren die Folgen jedoch im Jahr nach dem Vulkanausbruch, also 1816. Von Anfang Juli bis Ende August gab es in Nordamerika einen Wintereinbruch, der im Nordosten der USA zu Nachtfrostperioden mitten im Hochsommer führte. Im Osten Kanadas und in den heutigen Bundesstaaten Connecticut, New Hampshire, Maine, Massachusetts, Rhode Island und Vermont (Neuengland), fiel Schnee, der in Québec eine Höhe von 30 Zentimetern erreichte.

Auch Europa hatte stark unter den Klimaveränderungen und infolge dessen unter den  Wetterunbilden zu leiden. Erwähnt werden muss jedoch, dass bereits ab 1812, also 3 Jahre vor der Vulkankatastrophe, eine erhebliche Abkühlung in Europa eingesetzt hatte. Von 1812 bis 1821 waren die niedrigsten Sommertemperaturen in den letzten 500 Jahren zu verzeichnen. Die Ursachen für den Ausbruch dieser Kältezeit sind bisher ungeklärt. 1816 kamen dann noch die Auswirkungen des Vulkanausbruchs hinzu. In zahlreichen alten Publikationen wird das Jahr 1816 auch als Jahr ohne Sonne bezeichnet, denn diese soll in zahlreichen Gebieten Europas ständig vom Dunstschleier der Atmosphäre verdeckt gewesen sein.

In Mitteleuropa und auch in Deutschland müssen die Auswirkungen dennoch unterschiedlich stark gewesen sein. Am stärksten betroffen war wohl in Mitteleuropa das Gebiet unmittelbar nördlich der Alpen: Elsass, Deutschschweiz, Baden, Württemberg, Bayern und das österreichische Vorarlberg. Jedoch muss auch Mitteldeutschland recht stark betroffen gewesen sein, wie ich aus einigen zeitgenössischen Quellen erfahren konnte. Es kam zu schweren Unwettern mit extremen Regenfällen, teilweise sogar mit Schneefällen mitten im Sommer. Zahlreiche Flüsse, unter anderem der Rhein und die Elbe traten über die Ufer und verursachten schwere Überschwemmungen. Die Folge der niedrigen Temperaturen und anhaltenden Regenfälle in Teilen Europas waren katastrophale Missernten. Diese führten zu drastischen Preissteigerungen für Nahrungsmittel, insbesondere für Getreide. Die Auswirkungen zeigten sich erst 1817 und 1818 wo die Preise um das Doppelte, bis zum Fünffachen, anstiegen.

Besonders extrem müssen die daraus resultierenden Hungersnöte in der Deutschschweiz gewesen sein. Die Neue Luzerner Zeitung vom 17. April 2010 berichtete dazu: “. In Ybrig, in Rothenthurm und in den Berggegenden „haben die Kinder oft im Gras geweidet wie die Schafe“.

Deutschland war zusätzlich zu den klimabedingten Hungersnöten schwer von den gerade beendeten Napoleonischen Kriegen gezeichnet. Es kam deshalb zu einer großen Emigrationsbewegung. In Süddeutschland schifften sich viele Menschen über die Donau nach Osteuropa aus. Auch setzte die erste große Auswanderungswelle nach Amerika ein; es war noch keine Massenauswanderung wie etwa hundert Jahre später, aber immerhin waren es bis 1820 bereits etwa 150 000 Menschen, die den Weg über den Atlantik auf sich nahmen. Die Folgen des Vulkanausbruchs in Indonesien, die sich auf das Weltklima auswirkten, waren auf der nördlichen Erdhalbkugel bis 1819/20 spürbar.

Am stärksten war dennoch Indonesien sowie die asiatischen Regionen rund um Indonesien betroffen: Starke Niederschläge aus vulkanischer Asche reichten bis Borneo, Sulawesi, Java und zu den Molukken. Durch den Ausbruch starben mindestens 71.000 Menschen auf Sumbawa und Lombok, hiervon 11.000 bis 12.000 direkt durch die Eruption.

Die Klimaabkühlung hatte jedoch schon vor dem bekannten Ausbruch des Tamboras im Jahr 1815 einsetzt, weshalb wohl noch andere Ursachen dafür heranzuziehen sind. Aerosolablagerungen in grönländischen und antarktischen Bohrkernen lassen die Vermutung zu, dass es bereits vor dem Tambora-Ausbruch eine mächtige Vorläufereruption gegeben haben kann. Ort und Zeit dieser Katastrophe sind derzeit noch unbekannt.

Die Spätfolgen des Vulkanausbruches waren noch nach Jahren und Jahrzehnten augenscheinlich. Besonders bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang kam es zu merklichen Veränderungen des Lichtspektrums. Die vom Tambora in die Atmosphäre geschleuderten Staub- und Aschepartikel streuten das langwellige Sonnenlicht und erzeugten so neue Farbspiele, wie sie sonst nicht auftreten: Diese seltsame Himmelspracht wussten die biedermeierlichen Landschaftsmaler zu nutzen und auf ihre Leinwand zu bannen. Es waren Farbschattierungen von Rot, Orange, Violett, mitunter Blau- und Grüntöne sowie intensive Erdfarben.

Der Ausbruch des Tambora kann auch als gute Beispiel dafür dienen, wie wenig Einfluss die Menschheit auf Klimaveränderungen hat. Sicherlich sind Ökologie und Umweltschutz in einer modernen Gesellschaft unverzichtbar und auch Rahmenbedingungen zum Klimaschutz eine gute Sache. Die Art und Weise, wie mit dieser Gesinnung jedoch mitunter Politik gemacht wird, und mit Hilfe dieser Politik Profit, nimmt teilweise schon bedenkliche Züge an. Bedenklich ist, wenn in diesem Zusammenhang versucht wird, regelrechte Zukunftsangst zu erzeugen. Aber das ist ein anders Thema, dem ich mich ganz sicher in einem späteren Beitrag zuwenden werde.