Die Radioaktivität war entdeckt und in vielen Ländern versuchten Wissenschaftler dazu neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Schon vor der Entdeckung der Radioaktivität beschäftigten sich Physiker zudem mit Untersuchungen zur atmosphärischen Elektrizität. Anfangs galt Luft als Isolator, bei genauer Beobachtung zeigte sich jedoch, dass Luft in der freien Atmosphäre durchaus leitend sein kann. Doch wie ist dieses Phänomen physikalisch zu erklären?
Dazu stellten Wissenschaftler verschieden Theorien auf, ohne diese jedoch naturwissenschaftlich untermauern zu können. So wurde beispielsweise die sich ändernde Luftfeuchtigkeit oder auch der Feinstaubgehalt der Luft als Erklärungsversuch herangezogen.
Den beiden Wolfenbüttler Physikern Elster und Geitel genügten diese Ansätze jedoch nicht, sie stellten 1889 ihre eigene Theorie auf: Sie vermuteten frei bewegliche Ionen in der Atmosphäre, die dieses elektrische Leitvermögen ermöglichten.
Zunächst stellten sie elektrolytische Versuche in Flüssigkeiten an und adaptierten die dortigen Prozesse in die Atmosphäre. Dann stellte sich für die beiden Wissenschaftler die Aufgabe ihre Theorie in der Praxis zu beweisen. Dazu mussten sie einerseits Experimente zum elektrischen Leitverhalten von atmosphärischer Luft durchführen, andererseits war der Ionisierungsprozess zu untersuchen und nachzuweisen.
Wir müssen bedenken, dass die Versuchslabore zur damaligen Zeit noch sehr einfach ausgestattet waren, Messgeräte nach heutigem Maßstab gab es zudem auch noch kaum. Die Experimente und Versuche waren einfacher Natur und der genauen Beobachtungsgabe kam ein großer Stellenwert zu.
Prof. Dr. Dr.-Ing. e.h. Julius Elster und sein Partner Prof. Dr. h.c. Dr.-Ing. e.h. Hans Geitel waren jedoch nicht nur Physik-Wissenschaftler, sondern auch erfahrene Techniker. So gaben sie der Radioaktivitätsforschung ein Messgerät an die Hand, das sie „luftelektrischen Zerstreuungsapparat“ nannten und das sie selbstentwickelt hatten sowie von der Braunschweiger Instrumentenbaufirma Günther & Tegetmeyer bauen ließen. Es handelte sich dabei im Wesentlichen um ein Elektroskop mit aufgesetztem Blechzylinder. Mit dem Elektroskop lassen sich elektrische Ladungen und Spannungen messen. Der Blechzylinder wurde elektrisch aufgeladen und mit dem Elektroskop konnte dann der aus der vorhandenen Ionenkonzentration resultierende zeitliche Ladungsverlust ermittelt werden.
Bei ihren Untersuchungen zum Leitungsverhalten atmosphärischer Luft konnten sie Merkwürdiges beobachten: Unter einer Glocke abgeschlossene Luft wurde mit der Zeit zunehmend leitfähiger, bis ein Maximalwert erreicht war. Dieser hielt sich über einen langen Zeitraum weitgehend konstant.
Eine Entdeckung in jener Zeit ließ die beiden Physiker aufhorchen: Als man mit radioaktiven Körpern experimentierte, ließ sich durch die Strahlung, die von diesem Körper ausging, nachweisen, dass die umgebende Luft elektrische Leitfähigkeit erhalten hatte. Unter abgeschlossenen Bedingungen verlief diese Leitfähigkeit ähnlich der, die Elster und Geitel in ihrem Versuch unter der Glocke beobachtet hatten. Die beiden Physiker warfen die Frage auf, ob Radioaktivität für die nachgewiesene elektrische Leitfähigkeit der atmosphärischen Luft, deren Ionisierung, verantwortlich sein konnte. Um diese Frage beantworten zu können nahmen Elster und Geitel weitere Experimente vor.
Der neuseeländische Experimentalphysiker und Nobelpreisträger Ernste Rutherfort (1871-1937) schrieb dazu in einem Rückblick: „Diese Annahme veranlasste Elster und Geitel zu dem kühnen Versuch, eine radioaktive Substanz aus der Atmosphäre zu gewinnen.“
Die Wolfenbütteler Physiker zogen weitere Schlüsse aus ihrer Vermutung: Wenn die Strahlungsquelle für eine radioaktiv verursachte Ionisation in der Luft selbst liegt, so müsste die Luft in Räumen, die weder wetterbedingt noch von Menschenhand beeinflusst werden – also längere Zeit ruht – ein Maximum an elektrischer Leitfähigkeit aufweisen. Daher drängte sich der Gedanke auf, nach einem Raum zu suchen, der die genannten Voraussetzungen erfüllt.
Nach längerer Abwägung favorisierten Elster und Geitel eine ungenutzte Höhle. Davon gab es in der näheren Umgebung – im Harz – zahlreiche. Sie hörten sich um, fragten nach, und sie fanden einen Unterstützer für ihr Vorhaben, den Rübeländer Forstmeister Karl Stolze. Dieser war Mitbegründer des örtlichen Harzklubs und im oblag die fremdenverkehrstechnische wie auch die wissenschaftliche Betreuung der Rübeländer Baumannshöhle. Der Forstmeister ermöglichte den Physikern außerhalb der Besuchersaison den Höhlenzutritt. Man hoffte das in dieser Zeit die Luft frei von menschengemachten Verunreinigungen sei, und schob daher das Experiment bis kurz vor Saisoneröffnung hinaus. Am 27. und 28. April 1901 führten sie ihre Messungen durch. Zum Vergleich wurden luftelektrische Messungen am Höhleneingang sowie im „Tanzsaal“ des Höhlenkomplexes durchgeführt.
Auf diese Weise konnten Geitel und Elster messtechnisch ihre Theorie unter Beweis stellen. Die Physiker schrieben in Auswertung ihrer Messungen: „Die vergleichenden Messungen außerhalb und innerhalb der Höhle zeigten nun in schlagender Weise die ganz abnorm gesteigerte Leitfähigkeit der Höhlenluft.“ Als Beweis, und zum Vergleich, führten sie entsprechende Messungen noch in anderen Höhlen durch, die tendenziell ihre Ergebnisse bestätigten.
In der Physikalischen Zeitung Nr.2 1901 veröffentlichten Elster und Geitel folgende Schlussfolgerung: „Da die abgeschlossenen Luftmengen sich so verhalten, als seien in ihnen selbst oder in den einschließenden Wänden geringe Spuren radioaktiver Substanzen zugegen, so erscheint es nicht unmöglich, dass die bisher bekannten radioaktiven Elemente überall verbreitet sind.“
Bereits ein Jahr zuvor, also im Jahr 1900, hatte der Hallenser Physiker Friedrich Ernst Dorn das radioaktive Gas Radon entdeckt. Auch er stellte Versuche zu atmosphärischer Elektrizität an, konnte sie jedoch nicht nachweisen und begründen.
Elster und Geitel hingegen hatten die allgegenwärtige Existenz radioaktiver Substanzen in der atmosphärischen Luft erkannt und nachgewiesen. Dorns Entdeckung des Radons war ihnen aber wohl noch nicht bekannt. Zudem hatten sie nachgewiesen, das an Hand geologischer Abweichungen die elektrische Leitfähigkeit der Luft und damit auch ihre Radioaktivität erheblich schwanken können. Heute wissen wir: Radon ist ein radioaktives chemisches Element mit dem Elementsymbol Rn, das zur Gruppe der Edelgase zählt. Zudem wissen wir, dass Radon fast überall in der Luft vorkommt, jedoch in gesundheitsgefährdenden Konzentrationen zumeist nur in Räumlichkeiten mit geringer oder keiner Be- oder Entlüftung, wobei das eigentliche Gesundheitsrisiko durch die Strahlung der Radon-Zerfallsprodukte entsteht.
Elster, Geitel, Dorn und andere Wissenschaftler hatten entscheidende Grundlagenforschungen betrieben, doch bis ihre Fakten und Erkenntnisse zusammengeführt und auch formuliert werden konnten, verging noch eine Zeit.