Die Bibel, „Das Buch der Bücher“, ist eine Urkunde des Christentums und Handlungs- und Verhaltensanweisung für alle Christen. Sie ist eine redaktionelle Zusammenstellung von Schriften, Überlieferungen und Erfahrungen aus einem Kulturzeitraum von weit über zweitausend Jahren.
Eine vergleichbare Urkunde, sowie Handlungs- und Verhaltensanweisung auf juristischem Gebiet für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation des Mittelalters, stellt der „Sachsenspiegel“ dar. Er ist das erste deutsche, überlieferte Rechtsbuch. Sein Verfasser war Eike von Repgow (es gibt verschiedene Schreibweisen). Repgow entstammte einem sächsischen Rittergeschlecht, das auf Gut Reppichau seinen Stammsitz hatte und von welchem auch der Familienname abgeleitet wurde. Dieses Rittergut lag südöstlich von Aken, zwischen Köthen und Dessau.
Über der Kindheit und Jugend von Repgow liegt Dunkelheit, es gibt nur Vermutungen. Auch sein Geburtsjahr kennen wir nicht, es soll zwischen den Jahren 1180 und 1190 liegen. Gesichert ist, dass der junge Eike eine gute und umfassende Bildung genossen hat, die auf Grund seiner Kenntnisse in Latein und Bibelkunde kirchlichen Schulen zugesprochen wird. Auch wird angenommen, dass Repgow Jura studiert hat und dann das Deutsche Reich bereiste, um Erfahrungen in den einzelnen Gauen zu sammeln. Es war eine unsichere Zeit, auch Walther von der Vogelweide, von dem man annimmt, dass er Repgow gut kannte, schrieb in einem Minnelied: „Gewalt fährt auf den Straßen, und Fried und Recht sind sehr wund ….“. Vielleicht waren Repgows Erlebnisse und Erfahrungen Auslöser für den Gedanken, ein einheitliches Rechtsbuch zu verfassen. Auf jeden Fall muss er ein außergewöhnlicher junger Mann gewesen sein, denn der kleine Edelmann vom Lande, kam mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten im Reich zusammen, wie zum Beispiel König Philipp von Schwaben, Fürst Heinrich von Anhalt und Markgraf Dietrich von Meißen. Repgow war bei vielen wichtigen Rechtsbeschlüssen dabei. Seine Anwesenheit auf einigen Things ist beurkundet worden.
Während dieser Reisen, häufig im Gefolge adliger Herren, hat Repgow wohl auch Graf Hoyer von Falkenstein kennen gelernt. Der Graf war Burgherr auf Burg Falkenstein, im schönen Selketal. Beide verband fortan eine Freundschaft, die dazu führte, dass der Graf den Ritter Eike als Dauergast auf seine Feste lud. Eike von Repgow hatte so die Muße, sein Vorhaben eines einheitlichen Rechtsbuches in die Tat umzusetzen.
Ein wahrhaft schwieriges Unterfangen! Es gab kein einheitliches Reichsrecht, die Volksstämme – Sachsen, Schwaben, Franken usw. – wiesen ein weit auseinanderklaffendes Gefüge von Rechten, Pflichten, Bräuchen und Traditionen auf. Eike versuchte diese Gemengelage nach Möglichkeiten auszugleichen und für alle Völker und alle Volksschichten eine akzeptable, einheitliche Rechtslage zu schaffen. Dabei ließ er geistliches Recht außen vor und beschränkte sich auf weltliche Normen und Regeln. Trotzdem war sein Vorhaben für die damalige Zeit eine gewaltige und hochkomplizierte Aufgabe. Sicher kann davon ausgegangen werden, dass sein Gastgeber und Freund ihn tatkräftig unterstützte und er auch gelehrte Assistenten zur Seite hatte. Zudem kann angenommen werden, dass die Herrscher im Reich ein ernstzunehmendes Interesse an Eikes Arbeit hatten.
Zunächst schrieb Repgow sein Werk in Latein, dann noch in seiner Muttersprache Niederdeutsch. Der „Sachsenspiegel“ stellt ein Konvolut verschiedener Genre aus Lyrik und Prosa, aber auch aus biografischen und wissenschaftlichen Elementen dar. Entstanden zwischen den Jahren 1220 und 1240 auf Burg Falkenstein, entwickelte sich der „Sassen Speyghel“ schnell zum „Bestseller“ und wurde zum „Klassiker“. Er leitete eine Entwicklung ein, die der Adel so sicherlich nicht gewollt hatte, nämlich die Neu- und Umgestaltung der bürgerlichen Rechte in den aufblühenden Städten.
Eine Vorreiterrolle spielte dabei die Stadt Magdeburg, deren errungenes freibürgerliches Recht weit ins Deutsche Reich strahlte. Besonders aber in der Harzregion (Goslar, Halberstadt, Osterwieck, Wernigerode, Aschersleben, Quedlinburg, Nordhausen) entstanden zunächst neue Stadtrechte. Es begründete sich eine neue bürgerliche Freiheit, die in den Rolandsbildnissen Symbol und Wahrzeichen fand. Eike von Repgow schuf mit seinem Sachsenspiegel ein epochales Werk. Ob er sich dessen bewusst war und ob er die Verbreitung seines Werkes noch erlebte, wissen wir nicht. Im Jahr 1233 verliert sich bisher seine Spur.
Aber, dass er edel und dankbar war, hat er uns mit der Reimvorrede seines Werkes hinterlassen, in der er seinen Gastgeber und Freund, Graf Hoyer, seinen Dank kund tut:
„Nu dankit al gemeine deme von Valkensteine,
Der greve Hoyer ist genant,
daz an dutz (deutsch) ist gewant
Diz buch durch sine bete: Eike von Rypchow ez tete,
Ungerne her es abir ane quam, (ungern er daran ging)
do her abir vernam
So grosz dar zu des herren gere (Wunsch)
Do en hatte her keine were; (konnte er sich nicht wehren)
Des herren libe in gar verwan,
daz her des buches began,
Dez im waz vil ungedacht, (woran man nicht dachte)
Do herz hatte in latin bracht.
Ane hulfe unde ane lere;
Do duchte (dünkte) in daz zu swere,
Daz herz an dutz wante.
Zu letzt her doch genante (wagte sich)
Der arbeit unde tete
Greven Hoyers bete.“
Der folgende Abschnitt soll sich dem Inhalt von Eikes bedeutendem Rechtsbuch widmen. Es entstand im Hochmittelalter, einer Epoche in der das ursprüngliche Recht der einzelnen germanischen Stämme zu zerbröseln begann. Schon allein durch die Fülle von Landes- und Ortsrechten, fiel es den deutschen Herrschern schwer, das zersplitterte Reich zu ordnen. Dazu kam der ständige Herrschafts- und Rechtsanspruch des Klerus.
Repgow erkannte wohl dieses gesellschaftliche Defizit, konnte es aber nicht auflösen. Daher legte er von Anfang an Wert auf eine Abgrenzung zum allgegenwärtigen Kirchenrecht. Dies tat er, indem er gleich eingangs hervorhebt, dass dem Papst nur das christliche Schwert, dem König dagegen das weltliche zu führen gebühre. Diese Abgrenzung christlicher und weltlicher Machtsphäre ist eindeutig, was Repgow natürlich in kirchlichen Kreisen viele Anfeindungen eingebracht hat. Trotzdem war für ihn unstrittig, dass die Obrigkeit von Gott eingesetzt war. So beginnt Repkows Sachsenspiegel mit dem tiefgründigen Gedanken: „ Got, der da ist, begin und ende aller dinge …“.
Der „Sachsenspiegel“ ist kein Gesetzbuch nach unseren Vorstellungen. Paragrafen und Durchführungsbestimmungen waren noch nicht erfunden. Repgow hatte sich nur die Aufgabe gestellt, geltendes Gewohnheitsrecht aufzuschreiben und dabei unterschiedlichste Befindlichkeiten unter einen Hut zu bekommen. Dass er damit unbewusst neues Recht schuf war ihm nicht bewusst. Im Wesentlichen umfasst sein Werk zwei Rechtsbereiche, das Landrecht und das Lehnrecht.
Einen besonderen Schwerpunkt legte er auf das Landrecht. Das umfasste das Recht aller Freien und regelt das tägliche Leben, zudem auch das Strafrecht und die Rechtsprechung. Besonders ausführlich ließ er sich auf die rechtliche Lage zwischen Mann und Frau ein. Er fixierte die rechtliche Stellung der Frau in allen Ebenen und engte sie damit stark ein. Was bisher Tradition war, wurde jetzt niedergeschrieben, es wurde zum Recht und so galt es bis in die Neuzeit.
Das Lehnrecht regelte die Verhältnisse zwischen den Ständen. In diesem Kapitel wendet sich Repgow ausführlich dem damit in Zusammenhang stehenden Zins- und Abgaberecht zu. So fixiert er alle „Zinstermine“, die nach alter Tradition an bestimmten Tagen fällig waren, wie zum Beispiel: St. Walpurgistag (30. April) Lämmerzins; St. Urbanstag (25. Mai) Wein- und Baumzins; St. Johannistag (24. Juni) Fleischzins; St. Margaretentag (20. Juli) Kornzins; St. Martinstag (11. November) Gänse- und Geflügelzins usw.
Auch dem Bauerntum, sowie dem in engem Zusammenhang stehenden Jagd- und Forstrecht, widmete er sich ausführlich. Somit kann resümiert werden: Repgow hat mit seinem „Sachsenspiegel“ wesentliche Rechtsfragen des täglichen Lebens aufgeschrieben, erläutert und somit verankert. Aber er hat in seinem Werk auch einige Rechtsgebiete, sicher in voller Absicht, außen vorgelassen. Dem Dienstrecht und Hofrecht hat er sich zum Beispiel nicht zugewandt.
Eike von Repkow und sein Förderer und Unterstützer Graf Hoyer von Falkenstein haben auf der idyllischen Burg Falkenstein Rechtsgeschichte geschrieben, die das gesamte Heilige Römische Reich Deutscher Nation über Jahrhunderte prägen sollte. Heute sind vom „Sachsenspiegel“ noch vier, zum Teil vergoldete, Bilderhandschriften überliefert, die nach ihren Aufbewahrungsorten als: „Wolfenbütteler“, „Oldenburger“, „Dresdner“ und „Heidelberger“ bezeichnet werden sowie mehrere hundert Handschriften und Fragmente. Ob sich dabei ein Original befindet, oder ob alles Abschriften sind, ist unklar und deswegen strittig.
Aber wir dürfen Eike von Repgow nicht allein auf seinen „Sachsenspiegel“ reduzieren, denn er war auch ein bedeutender Geschichtsschreiber. Vermutlich ebenfalls auf der Harzer Burg Falkenstein hat er seine „Sächsische Weltchronik“ verfasst.