Um Ihnen einen Eindruck zu verschaffen, wie es in diesen letzten Kriegstagen zuging und wie einfach es war sich persönlich zu bereichern, möchte ich im Folgenden über eine wahre Begebenheit berichten. Es ging in dieser Geschichte nicht um Nazi-Gold, jedoch schon um viel Nazi-Geld.
Die Begebenheit wurde von Dr. Dietrich Wilde (1909-1986) in seinem Buch „In jenen Jahren“ aufgeschrieben. Das Buch stellt eine Dokumentation der Ereignisse 1945 in der Harzregion um Quedlinburg, sowie der Folgejahre in Sachsen-Anhalt dar. Der Autor war Strafverteidiger im 3. Reich und wurde zum Kriegsende als Bürgermeister der Kleinstadt Gernrode eingesetzt. Danach war er Richter und Gerichtsdirektor in Quedlinburg, Magdeburg und Halle, bis er 1948 in den Westen flüchtete. Danach war er bis zu seiner Pensionierung 1972 für 24 Jahre Stadtdirektor von Peine sowie längere Zeit Vizepräsident des Deutschen Städtetages. Sein Buch „In jenen Jahren“ erschien 1975 und war in den alten Bundesländern recht erfolgreich. Ich habe 2014 die Rechte an dem Buch erworben und es neu herausgegeben
„Ein Kriegsgewinnler:
In den letzten Kriegsmonaten hatte der Oberstabsindendant Breitenberg, aus dem Zahlmeisterstande bei der Reichswehr in der Wehrmacht zum Verwaltungsleiter einer militärischen Ausbildungsstätte in Berlin befördert, seine Dienststelle aus der Reichshauptstadt in weniger gefährdete Landstriche zu evakuieren. Die Rekruten seiner Dienststelle waren ohnehin teils schon an die Front geschickt, teils in mehrere Studentenkompanien in kleinere Universitätsstädte verlegt worden. Die Tätigkeit des Herrn Oberstabsintendanten und seiner wenigen Mitarbeiter, lediglich Unteroffizier und Gefreite, war damit fast auf Null gesunken, aber wie bei so vielen Wehrmachtsdienststellen existierte die Bürokratie mit ihren Akten, Registraturen, Papieren und Stempeln bis zum Ende an mancherlei Evakuierungsorten weiter, ohne dass irgendjemand zu sagen gewusst hätte, was für Aufgaben noch zu erledigen waren. Breitenberg, dessen Ernährungszustand Kraft seiner besonderen Begabung für Kungelgeschäfte bemerkenswert erfreulich war, hatte durch das Heimatdorf Stecklenberg, unterhalb der Ruine der Lauenburg am Ostharzrand, eine nützliche Verbindung zu den Parteigewaltigen dieser, im Windschatten des Krieges liegenden Region, die dem Bombenkrieg nur aus den Kondensstreifen der nach Osten fliegenden Pulks kannte. In diesen friedlichen Regionen schlug Breitenberg im Januar 1945 sein Quartier in mehreren Räumen der NS-Gaufrauenschule in der „Semmelvilla“ des alten Fräulein Lake in Gernrode auf. Die Schule hatte ihre Ausbildungsstätte zum Jahresende 1944 geschlossen und die noch restlichen BDM-Schülerinnen als Dienstverpflichtete in Rüstungsbetriebe geschickt.
Als ich am 1. Mai 1945 mein Bürgermeisteramt in Gernrode/Harz angetreten hatte, zählten Breitenberg und seine Frau zu meinen ersten Besuchern. Ich kannte beide von früheren Aufenthalten in Stecklenberg, wo Frau Breitenbergs Eltern eine große Kirschplantage und ausgedehnte Äcker besaßen, die Frau Breitenberg inzwischen geerbt hatte. Er trug natürlich Zivil und erzählte, dass er der Kriegsgefangenschaft entgangen sein, weil er sich im Hause seiner Frau in Stecklenberg habe verstecken können. Sein Besuch galt der Bitte, den großen parkähnlichen Garten der Semmelvilla, in der der amerikanische Stadtkommandant inzwischen seine Residenz eingerichtet hatte, zwecks Ausgrabung von mehreren dort versteckten Vorräten betreten zu dürfen. Er habe da allerhand Lebensmittel, Konserven, Reiskisten und Spaghetti-Behälter, aber auch Weine und Spirituosen versteckt. Er bot mir eine Erfolgsbeteiligung an, wenn ich ihm zu seiner Kriegsreserve verhelfen könne. Ich lehnte das rundweg ab, schon weil ich die versteckten Waren sofort hätte beschlagnahmen müssen, aber auch, weil das Grundstück Tag und Nacht von G.I.s bewacht wurde.
Ich warnte Breitenberg, eigenmächtig vorzugehen, die Amerikaner würden ihn ohne Zweifel sofort verhaften und vor ein Kriegsgericht stellen. Wie ich später erfuhr, hat er meinen Rat jedoch nicht beachtet. Er hatte gehört, dass die Grundstückseigentümerin, Fräulein Lake, die Erlaubnis erhalten hatte, ihr Grundstück zu Arbeiten im Gemüsegarten stundenweise zu betreten, und er machte sich auf Grund des Versprechens erheblicher Beteiligung an der Beute, mit Erfolg an sie heran. Er gewann sie, die Vorräte nach und nach auszugraben und die Sachen in ihren Kleidern und Körben herauszuschaffen. Breitenberg gab ihr einen Lageplan und Fräulein Lake grub und grub. Bald stieß sie auf das Versteck, weil sich die Erde sehr leicht heraushob. Ihr und sein Erstaunen waren jedoch grenzenlos, als sie nichts mehr vorfanden. Breitenbergs Hilfspersonal, das bei nahendem Kriegsende unter seiner Aufsicht die Proviantkisten vergraben hatte, war schneller gewesen und hatte sich, bevor es sich vor dem Einmarsch der Amerikaner in alle Winde zerstreute, selbst bedient.
Aber ein anderer sehr lukrativer Streich war ihm doch geglückt. Aus seiner Berliner Dienstzeit wusste er, dass der Sold für die Wehrmachtsangehörigen von den einzelnen Reichsbankfilialen an die Zahlmeister ausgezahlt wurde. So hatte er sich zwei Tage vor dem Einrücken der Amerikaner per Fahrrad, in voller Uniform, in die zuständige Reichbankfiliale nach Quedlinburg begeben und es verstanden, sich dem dortigen Filialleiter, der sich schon in Untergangspanik befand, einige hunderttausend Reichsmark unter dem Vorwand aushändigen zu lassen, den Sold an einige hundert Lazarettinsassen in Gernrode und Suderode angeblich im Voraus zu zahlen; schließlich sei es besser, dass bei der Reichsbank lagernde Geld den Verwundeten zuzuführen, als es vom einrückenden Feind beschlagnahmen zu lassen. Das war einleuchtend und so trat der Oberstabsintendant (Anm. des Autors: Rang im Verwaltungsdienst der Wehrmacht, gleichzusetzen mit dem Rang eines Majors bei der Truppe) mit einem Rucksack, voll mit einigen hunderttausend Reichsmark kräftig in die Pedale heimwärts gen Stecklenberg. Leider war er nicht mehr dazu gekommen, den Sold auch auszuzahlen, inzwischen hatten Vorauseinheiten der Amerikaner die Harzränder längst besetzt. Die Banken waren alle geschlossen und die Konten gesperrt worden.
Aber wer genügend Bargeld besaß, hatte noch immer das Lachen. Und das besaß in diesen Wochen des totalen Chaos allein der ehemalige Oberstabsindendant – so viel, dass er sich schon im frühen Sommer 1945 zum Erstaunen aller Dorfbewohner eine Villa in Stecklenberg bauen konnte. Kurz nach der Fertigstellung der neuen Villa wechselte aber die Besatzungsmacht und unter den Russen wurde Breitenberg der Boden zu heiß. Er verkaufte die Villa zu einem Bruchteil ihres Wertes und zog sich nach Berlin zurück, wo im Westteil der Stadt inzwischen die die Westalliierten die Russen abgelöst hatten. Bis zu seinem Tode, gut zwanzig Jahre später, verzehrte er hier in Ruhe seine Pension und den ergaunerten und unterschlagenen Wehrmachtssold, wobei er öffentlich häufig darüber räsonierte, dass der Russe ihn um sein bisschen Hab und Gut gebracht hatte.“
Von solchen NS- und Wehrmachtsangehörigen, die in den Letzten Tagen noch ihr Scherflein ins Trockene brachten, gab es eine ganze Menge. Und nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes interessierte sich keiner mehr dafür, sofern diejenigen sich keiner NS-Verbrechen schuldig gemacht hatten. Das war übrigens auch nach dem Zusammenbruch der DDR nicht anders!
Demnächst: Wie führende Nazis Gold und Geld für persönliche Zwecke ins Ausland schafften um nach dem Krieg davon in Wohlstand zu leben.