Der britische Botschaftsrat Forbes erzählte Dahlerus in einer abgelegenen Ecke der Hotellobby, dass sein Botschafter Henderson in die Reichskanzlei geladen worden war, um die vielversprechende Entwicklung der Gespräche fortzusetzen. Es wurden die Möglichkeiten der Durchführung des Planes diskutiert, insbesondere die englische Note. Dann hatte Hitler die deutsche Note hervorgeholt und verlesen, die im Wesentlichen die englische Auffassung bestätigte. Jedoch verlangte die deutsche Regierung am Schluss, dass sich einen Tag später – also am 30. August – polnische Unterhändler zu entsprechenden Verhandlungen in Berlin einfinden sollten.
Henderson war über diese Formulierung empört, die er als Ultimatum der deutschen Regierung auffasste, und gab seine Meinung in scharfen Worten Ausdruck. Es entstand ein Streit zwischen Henderson sowie Hitler und Ribbentrop, der „peinlich und hässlich“ gewesen sein soll.
Der genaue Wortlaut des letzten Teils der deutschen Note, die zu jenem heftigen Zank führte, ist folgender: „Die Deutsche Reichsregierung ist unter diesen Umständen daher damit einverstanden, die vorgeschlagene Vermittlung der Königlich Britischen Regierung zur Entsendung einer mit allen Vollmachten versehenen polnischen Persönlichkeit nach Berlin anzunehmen. Sie rechnet mit dem Eintreffen dieser Persönlichkeit für Mittwoch, den 30. August 1939.“
Zwei Sätze, die eigentlich keinen „Sprengstoff“ enthielten, führten dazu, dass beide Parteien in äußerster Missstimmung schieden. Die Lage war erneut angespannt, wenn nicht sogar kritisch geworden. Forbes und Dahlerus besprachen, was man tun könne, als Hermann Göring anrief und Dahlerus schnellstens zu sprechen wünschte.
Kurze Zeit später fuhr ein Wagen vor dem Esplanada Hotel vor und brachte Dahlerus in Görings Berliner Wohnung.
Göring, der gerade von einer Besprechung mit Hitler gekommen war, reagierte äußerst nervös und gereizt. Er sah die Schuld des Zanks einzig in der Reaktion von Herderson auf den einen Satz in der deutschen Note. Er führte weiter aus, dass die deutsche Regierung weiterhin an einem Vertrag mit England und eine friedliche Einigung mit Polen interessiert sei. Er betonte jedoch, dass die deutsche Regierung nicht länger dem feindlichen Auftreten der Polen gegen die dortige deutsche Bevölkerung zusehen könne: daher die Eile zu entsprechenden Verhandlungen. Er berichtete Dahlerus, dass am Abend die Nachricht eingegangen sein, dass fünf Deutsche, die über den Warthefluss nach Deutschland fliehen wollten, von hunderten polnischen Soldaten erschossen worden seien. Dahlerus versuchte Göring zu beruhigen und im klar zu machen, dass solche wohl undisziplinierten Übergriffe doch keinen Krieg auslösen dürften, was jedoch bei Göring auf wenig Gehör stieß.
Göring machte Dahlerus klar, dass Polen schon seit einiger Zeit gegen Deutschland mobilisiere – in seinen Ausführungen gegenüber Dahlerus wurde diesem erstmals klar, welche Einstellung Hitler wirklich gegen Polen hatte: Er sah die Polen als minderwertig, deutschfeindlich und unzuverlässig an.
Göring schilderte Dahlerus auch, dass Deutschland die Mobilisierung sowie die Hetze der polnischen Medien gegen Deutschland erkannt habe und entsprechende Vorbereitungen getroffen worden seien. 60 deutsche Divisionen – etwa 1 Million Soldaten – ständen an der polnischen Grenze. Jedoch hatten sie den ausdrücklichen Befehl in keinem Fall einzuschreiten. Dennoch halte Deutschland daran fest, den Konflikt friedlich zu lösen. Er gab jedoch auch unmissverständlich zu verstehen, dass England und Frankreich Deutschland nicht stoppen könnten, wenn es nötig würde, gegen Polen vorzugehen.
Dann riss Göring eine Karte aus einem Atlas und begann einen geforderten Korridor nach Danzig einzuzeichnen. Diese Karte gab er Dahlerus, um mit den Engländern darüber zu sprechen.
Weiterhin berichtete Göring unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass Hitler an einem „großzügigen“ Angebot an Polen arbeiten würde, welches er wohl am nächsten Tag darlegen würde. Göring äußerte gegenüber Dahlerus, dass er darüber keine weiteführenden Informationen geben dürfe, tat es in seinem Gemütszustand aber dennoch:
Hitler halte an seinen Ansprüchen auf Danzig fest. Dazu solle eine Volksabstimmung in Polen stattfinden. Falle Polen als Ergebnis das Gebiet zu, so solle Deutschland einen Korridor mit modernen Verkehrsanbindungen dorthin erhalten, falle Deutschland hingegen abstimmungsgemäß das Gebiet zu, so erhalte Polen eine entsprechende Verkehrszone.
Zum Abschluss dieses langen, intensiven Gespräches bat Hermann Göring den Schweden Birger Dahlerus, umgehend nach London zu reisen, um der englischen Regierung einen umfänglichen Bericht über dieses Gespräch zu erstatten.
Göring bot Dahlerus zudem an, ihm, wenn erforderlich, umgehend ein Flugzeug nach London zur Verfügung zu stellen, sobald die Engländer zu dem Gespräch eingewilligt hätten.
Hermann Göring äußerte sich abschließend gegenüber Dahlerus so, dass dieser darüber sehr verwundert war. Dahlerus schreibt dazu: „Ehe wir uns trennten, betonte Göring lebhaft die deutschen Gesichtspunkte und bat schließlich, mir, falls wir uns im Leben nicht mehr sehen sollten, danken zu dürfen für meine Tätigkeit und dafür, dass ich keine Mühe gescheut hätte, um bei der Erhaltung des Friedens mitzuwirken.“
Dahlerus war über diesen Abschied sehr verwundert und sagte Göring, dass man sich aller Wahrscheinlichkeit nach recht bald wiedersehen würde. Daraufhin wurde Göring recht ernst und äußerte: „Vielleicht, aber es gibt genug Leute, die zu verhindern suchen, dass Sie hierbei mit dem Leben davonkommen.“
Später erfuhr Dahlerus von Göring, dass Ribbentrop versucht habe, einen Flugzeugabsturz seiner Maschine herbeizuführen.
Dahlerus begab sich dann, es war um 2 Uhr in der Nacht vom 29. zum 30.August 1939, in die englische Botschaft um dort an Forbes zu berichten. Nach etwa einer Stunde kam aus London die Antwort, dass Dahlerus mit seiner deutschen Maschine in London erwartet würde.
Demnächst: Wie die englische Regierung reagierte.