Schlagwort-Archive: 2. Weltkrieg

Die Peenemünder Geheimakten Wernher von Brauns im Eisenkuhlenstollen der Grube Georg-Friedrich bei Liebenburg-Dörnten

Dr. Friedhart Knolle

Die Peenemünder Geheimakten Wernher von Brauns im Eisenkuhlenstollen der Grube Georg-Friedrich bei Liebenburg-Dörnten
Für kurze Zeit geriet das Eisenerzbergwerk Georg-Friedrich im südlichen Salzgitterschen Höhenzug nahe der Ortschaft Dörnten (heute Gemeinde Liebenburg) im Nordharzvorland in den Fokus der Weltgeschichte. Dieses vor Ort im Harz noch immer recht unbekannte kurze Kapitel der Rüstungsgeschichte des 2. Weltkriegs sei hier anhang der zitierten Arbeiten quellenkritisch nacherzählt.

Die NS-Raketentechnik
Hinter der V2, wie sie die NS-Propaganda nannte, verbarg sich das Aggregat 4 (A4). Es war 1942 weltweit die erste funktionsfähige Großrakete mit Flüssigkeitstriebwerk. Sie war als ballistische Artillerie-Rakete großer Reichweite konzipiert und das erste von Menschen konstruierte Objekt, das in den Weltraum vordrang. Die Boden-Boden-Rakete A4 wurde in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf Usedom ab 1939 unter der Leitung von Wernher von Braun entwickelt und kam ab 1944 in großer Zahl zum Einsatz.
Neben der flugzeugähnlichen Fieseler Fi 103, genannt V1, bezeichneten die Nazis auch die Rakete A4 als angeblich kriegsentscheidende „Wunderwaffe“. Im August 1944 wurde sie von Propagandaminister Joseph Goebbels erstmals intern und im Oktober 1944 öffentlich zur „Vergeltungswaffe 2“, kurz V2, verklärt. In den NS-Medien war spätestens ab Dezember 1944 von der „Fernwaffe V2“ die Rede.
Die Alliierten hatten die Entwicklungs- und Versuchsanlage in Peenemünde 1943 entdeckt und massiv bombardiert. Die anlaufende Raketenproduktion insbesondere der V2, aber auch anderer Aggregate wurde daraufhin nach Nordhausen im Südharz in das Stollenlabyrinth unter dem Kohnstein (Mittelbau-Dora) verlegt, während die Forschung trotz Behinderung vorerst in Peenemünde fortgesetzt wurde, bis man sie Ende 1944 nach weiteren Bombardements ebenfalls in den Südharz verlegte. Die Nazis hatten damit im Kohnstein die damals größte und modernste Raketenfabrik der Welt errichtet.

Die Auslagerung der Unterlagen
Anfang 1945 kamen die alliierten Fronten Nordhausen immer näher, so dass das umfangreiche Akten- und Planmaterial, das in Bleicherode bei Nordhausen lagerte, an einen sicheren Ort verbracht werden musste. Von Braun ließ weniger wichtiges Material verbrennen und setzte alles daran, das relevante Material von insgesamt 14 Tonnen Gewicht (einige Quellen beziffern das Gewicht auf ca. 10 Tonnen) in Form von Berechnungen, Zeichnungen, Versuchsprotokollen und sonstigen Arbeiten zu sichern, denn die Alliierten, allen voran die Briten, waren längst auf der Suche danach.

Wernher von Braun beauftragte seinen technischen Assistenten Ing. Dieter K. Huzel damit, die Unterlagen zusammenzustellen und sie sicher, am besten in einem trockenen Stollen, zwischenzulagern. Nachdem das gesamte Aktenmaterial auf drei LKW und zwei Anhänger verladen war, musste dieser sichere Ort erst einmal gefunden werden. Wernher von Braun wurde in diesen Tagen mit seinem Team nach Süddeutschland evakuiert.

Huzel sprach beim Oberbergamt Clausthal vor, schließlich auf dortige Empfehlung auch beim Bergamt Goslar. Niemand schien ihm helfen zu können, zumal eine Einlagerung in eine der aktiven Schachtanlagen nicht in Frage kam – die Belegschaft einer solchen Grube wäre ein unkalkulierbares Mitwisser-Risiko gewesen, weil man die 14 Tonnen Material zunächst in die Schachtförderanlage hätte umladen müssen. In der Grube Rammelsberg war bereits sensibles Material eingelagert worden, u.a. der Braunschweiger Löwe. Als der Goslarer Bergamtsleiter Ernst Cornelius daher ebenfalls abwinkte, wurde Huzel wütend: „Hier sind die wichtigsten Dokumente, die es in Deutschland gibt, und wir können sie nicht schützen!“ Bergrat Cornelius bedauerte dies, doch beim Hinausgehen kam ihm eine Idee.

Die Eisenerzlager des südlichen Salzgitterschen Höhenzuges mit der Grube Georg-Friedrich; Grafik P. Neuß 1979
Die Eisenerzlager des südlichen Salzgitterschen Höhenzuges mit der Grube Georg-Friedrich; Grafik P. Neuß 1979

Dörnten kommt ins Spiel
“Da gibt es eine Eisenerzgrube in Dörnten, wo ein Stollen stillgelegt ist. Der scheint richtig zu sein.“ Cornelius war froh, nun doch helfen zu können. Gemeinsam fuhren sie daraufhin nach Dörnten zum pensionierten Betriebsführer Karl Nebelung der Grube Georg-Friedrich und brachten das Anliegen vor. Nebelung stand als „guter alter Deutscher“ sofort zur Verfügung. Auch in diesem Bergwerk waren im Krieg Zwangsarbeiter eingesetzt, u.a. Polen.

Nebelung brauchte nicht lange nachzudenken, um den idealen Einlagerungsort herauszufinden, und entschied sich für eine alte Sprengstoffkammer auf der Stollensohle der Grube, dem sog. Eisenkuhlenstollen. Eine Förderbahn führte vom Betriebshof in südöstlicher Richtung in den Berg bis an den Einlagerungsort. Die Kammer war stabil und trocken, etwa 20 Quadratmeter groß und 4 m hoch. „Ideal, wie für uns geschaffen“, sagte Huzel, “nun müssen wir nur noch das Material hineinbekommen.“

Man wurde sich einig, dass Nebelung die Vorbereitungen vor Ort treffen sollte, während Huzel die Anfuhr der LKW organisierte. Zu diesem Zeitpunkt, Anfang April 1945, war die Lufthoheit der Alliierten bereits erdrückend, die Gefahr der Zerstörung des Materials aus der Luft war groß. Die LKW mit Anhängern waren zunächst einigermaßen sicher in Lerbach abgestellt. Man brachte sie dann zu einem alten Steinbruch bei Goslar und versteckte sie dort. Nebelung holte sich zwei vertrauenswürdige Bergleute aus dem Dorf: Hermann Bosse und Hermann Siemens.

Zu den Vorbereitungen gehörte unter anderem das Zusammenstellen des Zugs mit etwa 10 Förderwagen. Gegen Abend des darauffolgenden Tages fuhr Huzel den ersten LKW nach Dörnten, stellte ihn im Wald neben dem Zug am Betriebsgelände ab und das Material wurde von zehn Soldaten des Begleitschutzes und den beiden Dörntenern von Hand umgeladen. Danach erst wurde der zweite LKW geholt und dann der dritte – eine Aktion, die unter größtmöglicher Geheimhaltung weitgehend im Dunkeln ablief.

Saigerriss der Grube Georg-Friedrich mit der Stollensohle im Bereich Eisenkuhle; Grafik Heinz Kolbe
Saigerriss der Grube Georg-Friedrich mit der Stollensohle
im Bereich Eisenkuhle; Grafik Heinz Kolbe

Die Einlagerung war am 6. April beendet. Danach hatte Nebelung mit seinen beiden Vertrauensleuten abschließend die Aufgabe, den Eingang zur Kammer zuzuschießen, d.h. zuzusprengen. Dazu wurden U-förmig um den Eingang Löcher gebohrt und diese mit Sprengstoff versehen. Die erste Sprengung zeigte nicht den erwünschten Erfolg, oben blieb eine Öffnung. So musste eine zweite Sprengung von der Firste des Stollens her vorgenommen werden. Danach war der Eingang zur alten Sprengstoffkammer nur noch für Experten zu erkennen. Nur wenige Tage später, am 10. April, rückten die US-Amerikaner in Dörnten.

Das Versteck wird entdeckt

Von dem Versteck wussten nur Huzel, sein Begleiter Bernhard Tessmann, Karl-Otto Fleischer, ehemaliger Chef der Verwaltung in Peenemünde, und Wernher von Braun. Die drei letztgenannten wussten nur von Dörnten, aber nicht den genauen Ort. Unter dem US-Oberst Toftoy, der die Peenemünder Wissenschaftler anwerben sollte, begann die Suche nach dem Ort und der Einlagerungsstätte der Dokumente. Zu seinem Stab gehörte Major Robert Staver, der erkannte, dass Fleischer vom Mitarbeiterteam Wernher von Brauns wusste, wo sich ungefähr der Einlagerungsort befindet. Staver brachte ihn zum Reden und entlockte ihm sein Wissen. Sofort brach man nach Dörnten auf und suchte solange, bis die Kammer gefunden war. Ein US-Pionier-Sonderkommando unter Stavers Leitung arbeitete in drei Schichten, um den „Schatz“ wieder freizulegen. Am 26. Mai 1945 wurden die Akten geborgen und unverzüglich in das Foreign Documents Evaluation Center bei Aberdeen im US-Staat Maryland verbracht. Wernher von Braun hatte sich mit seinem Team bereits am 2. Mai der US Army in Tirol gestellt. Damit besaßen die US-Amerikaner nunmehr die relevanten Akten, die wichtigsten Ingenieure und darüber hinaus nicht nur etwa 100 im Kohnstein sichergestellte V2, sondern auch zahlreiche weitere Waffenmuster, Einzelteile und die Produktionstechnik.

Nur kurze Zeit nach diesem Geschehen übernahmen die Briten den Nordharz. Sie suchten zwar auch nach den Dokumenten, fanden jedoch nichts mehr. Die Sowjets übernahmen nach der Aufteilung des ehemaligen Deutschen Reichs in die endgültigen Besatzungszonen den Raum Nordhausen und sicherten sich die Technik, die ihnen die US-Amerikaner übrig gelassen hatten, sowie das verbliebene Personal des Teams von Wernher von Braun. So bildete die V2 ab Mitte 1945 die Ausgangsbasis der Raumfahrtentwicklungen der USA und der Sowjetunion – die Briten waren leer ausgegangen.

Verbliebene Tagesgebäude der Grube Georg-Friedrich im Bereich des ehemaligen Mundlochs des Eisenkuhlenstollens; Foto Verlag Schadach
Verbliebene Tagesgebäude der Grube Georg-Friedrich im Bereich des ehemaligen Mundlochs des Eisenkuhlenstollens; Foto Verlag Schadach

Dank
Das Manuskript beruht auf einem Entwurf des verstorbenen Hahndorfer Heimatpflegers Wolfgang Janz, der dem Erstautor seinen Textbaustein zur Verfügung stellte. Die beiden Veröffentlichungen, die auf diesem Manuskript beruhten (Knolle & Janz 2017a, b), und auch die Medienberichte enthalten einige Fehler und Unschärfen, die hiermit verbessert seien. Für ergänzende Hinweise danke ich Stefan Dützer, AG Schroederstollen, und Heidi Niemann, Göttingen.

Literatur

Bornemann, M. (1971): Geheimprojekt Mittelbau. Die Geschichte der deutschen V-Waffen-Werke. – J. F. Lehmanns Verlag, München

Bornemann, M. (1989): Schicksalstage im Harz – Das Geschehen im April 1945. – 6. Aufl., Piepersche Druckerei und Verlag, Clausthal-Zellerfeld

Giesecke, H. (2014): Stunde Null bis Pall Mall. Wie Goslar und Umgebung die Besatzungszeit von 1945 bis 1948 erlebt. – Books on Demand, Norderstedt

Huzel, D. K. (1962): Peenemunde to Canaveral. – Prentice Hall, Inc, Englwood Cliffs, NJ, USA

Knolle, F. & Janz, W. † (2017a): Ernst Cornelius hatte eine Idee. Peenemünder Geheimakten im Eisenkuhlenstollen bei Dörnten. – Neue Wernigeröder Zeitung 28 (10):22

Knolle, F. & Janz, W. (2017b): Peenemünder Geheimakten im Eisenkuhlenstollen der Grube Georg-Friedrich bei Dörnten. – Uhlenklippenspiegel 32 (119):36-40

Koch, F. (2021): Die Grube „Oberer Kleeberg“ und die Peenemünder Akten. – Lerbacher Heimatblätter 28, H. 51, S. 84 – 85

Kolbe, H. (1984): Die Geschichte des Eisenerz-Bergbaus in Salzgitter. 3. Teil: Die Aufschlußgeschichte der Anlagen südlich und nördlich des Stadtgebietes Salzgitter. 17. Aufschlußgeschichte der Grube Georg-Friedrich bei Dörnten. – Salzgitter-Jahrbuch 6, S. 28 – 41

McGovern, J. (1964): Crossbow and Overcast. – W. Morrow, New York

Möller, J. (2013): Der Kampf um den Harz April 1945. – 2. Aufl., 352 S., Rockstuhl, Bad Langensalza

Padeffke, H. (2003): Chronik von Dörnten. 950 Jahre. 1053 Dornzuni Dörnten 2003. – Leifer

https://de.wikipedia.org/wiki/Aggregat_4

Der letzte Versuch den 2. Weltkrieg zu verhindern – 1. Teil

Es gibt Ereignisse, die, wenn sie erfolgreich verlaufen wären, die Welt hätten verändern können. Solche Ereignisse werden, wenn sie jedoch misslungen sind, gern totgeschweigen. Sie tauchen dann in keinem Geschichtsbuch mehr auf. Diese Verschweige-Taktik ist als Instrument in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens seit jeher üblich und hat sich somit bestens bewährt. Besonders in der Politik ist sie ein viel genutztes Instrument, birgt jedoch in unserer modernen Mediengesellschaft zunehmende Risiken. Auch die vom Staat gern genutzt Geheimhaltungstaktik, ist inhaltlich nichts Anderes als eine Verschweige-Taktik, mit besonders rigiden Regeln.
Von einem solchen Ereignis möchte ich Ihnen heute berichten: einem Geheimtreffen zur Verhinderung der 2. Weltkrieges.
Jedoch sehe ich es als erforderlich an, zum allgemeinen Verständnis, etwas weiter auszuholen und mit der Vorgeschichte zu beginnen. Diese möchte ich weitgehend unpolitisch und unideologisch darstellen.
Über den Ersten Weltkrieg möchte ich hier nicht weiter berichten. Er wurde von Deutschland und seinen Verbündeten, den sogenannten Mittelmächten, verloren. Die Entente-Mächte und ihre Alliierten hatten somit den Krieg gewonnen. Sie diktieren die Bedingungen des Friedens, die im Friedensvertrag von Versailles festgeschrieben wurden.
Die Bestimmungen des Vertrages waren äußerst hart für Deutschland. Man kann wohl sagen, der Vertrag wurde gemacht um Deutschland klein zu halten, was nach diesem grausamen Krieg für die Siegerseite, die zudem die größten Verluste und Zerstörungen zu beklagen hatte, als durchaus legitim angesehen werden kann. In Deutschland hingegen wurde der Vertrag von Anfang an abgelehnt und Erleichterungen gefordert.
Zum geflügelten Wort ist die Aussage von Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann geworden, die er, als ausgewiesener Gegner des Vertrages, bei seinem Rücktritt am 12. Mai 1919 vor der Weimarer Nationalversammlung kundtat: „Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in solche Fesseln legte?“
Durch die ultimative Drohung der Entente-Mächte, umgehend in Deutschland einzumarschieren, wenn der Vertrag nicht baldigst ratifiziert wird, fehlte der deutschen Nationalversammlung jede Alternative. Sie votierte am 22. Juni 1919 mit 237 gegen 138 Stimmen für die Annahme des Vertrags. Scheidemanns Parteifreund und Nachfolger Gustav Bauer rief in der Sitzung aus: „Wir stehen hier aus Pflichtgefühl, in dem Bewußtsein, daß es unsere verdammte Schuldigkeit ist, zu retten zu suchen, was zu retten ist […]. Wenn die Regierung […] unter Vorbehalt unterzeichnet, so betont sie, dass sie der Gewalt weicht, in dem Entschluss, dem unsagbar leidenden deutschen Volke einen neuen Krieg, die Zerreißung seiner nationalen Einheit durch weitere Besetzung deutschen Gebietes, entsetzliche Hungersnot für Frauen und Kinder und unbarmherzige längere Zurückhaltung der Kriegsgefangenen zu ersparen.“
Kein guter Start also, für das neue demokratische Deutschland, dass die Monarchie gerade abgeschüttelt hatte. In weiten Kreisen der Bevölkerung fand der Friedensvertrag wenig oder keine Zustimmung. Zu hart waren die Bedingungen, zu schwer die Lebensbedingungen im kriegsgebeutelten Deutschland.
Man hoffe in Deutschland auf einen wirtschaftlichen Aufschwung aus eigener Kraft. Doch dieser kam nicht: stattdessen eine Weltwirtschaftskrise und eine nie dagewesene Inflation.
Die Schilderung der Situation im damaligen Deutschland möchte ich nun – der Neutralität wegen – dem Hauptprotagonisten meines Beitrages überlassen, einem schwedischen Industriellen und ausgewiesenen Deutschlandkenner, den ich jedoch erst im 2. Teil vorstellen möchte: „Deutschland hatte die Nachwirkungen des verlorenen Krieges nicht überwunden, sondern litt in dieser Zeit sowohl unter einer wirtschaftlichen Krise wie unter politischen Schwierigkeiten. Die Nation war zersplittert; die politischen Parteien scheuten kein Mittel, die Oberhand zu bekommen und ihre Gegner an der Ausübung der Macht zu hindern. Und in der Tiefe des Nationalbewusstseins lag der Revanchegedanke, sowohl von konservativen Kreisen wie von der neuen nationalsozialistischen Partei geschickt propagiert. Das Revanchegefühl war die Triebfeder der ständigen Versuche, Bestimmungen des Versailler Vertrages zu sabotieren, und vor allem der in diesen Jahren betriebenen heimlichen Aufrüstung.
Der Kampf zwischen den Nationalsozialisten und den übrigen Parteien ist zu bekannt, als dass er hier einer Schilderung bedürfe. Nur mit tiefer Sorge konnte ich indes bei Besuchen in Deutschland beobachten, welcher Mittel sich die Nationalsozialisten bedienen, um an die Macht zu kommen, und ganz allgemein den Geist kennenlernen, der sie kennzeichnete. Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 glückte es den Nationalsozialisten, durch eine außerordentlich geschickt aufgemachte Propaganda, dem ganzen deutschen Volk einzureden, dass sie Deutschland jetzt retten würden aus dem, was sie die Erniedrigung und die Schmach nannten, die der Versailler Vertrag über das Land gebracht hatte. Ich selbst traf auf meinen Reisen viele Menschen in bedeutenden Stellungen, die früher den Ideen des Nationalsozialismus ganz abweisend gegenüberstanden, durch die Entwicklungen der Dinge in den Jahren nach 1933 aber zu glauben begannen, dass die jetzt ergriffenen Maßnahmen den Grund zu einem neuen glücklichen Deutschland legen würden. Es war ganz offenkundig, dass der Nationalsozialismus an einen Instinkt appellierte, der dem ganzen deutschen Volk gemeinsam war und bestärkt wurden durch den außerordentlich geschickten nationalsozialistischen Propagandaapparat, der die gesamte Nachrichtenvermittlung des Dritten Reiches kontrollierte. Mit aufrichtiger Besorgnis begann ich mich zu fragen, wohin dies führen solle.“
Teil 2 demnächst – der Strippenzieher Birger Dahlerus




Die Luftschlacht von Oschersleben

Von 1939-1945 gab es unzählige Luftangriffe der Alliierten gegen deutsche Städte, Industrie – und Militäranlagen. Die deutsche Wehrmacht, und insbesondere die deutsche Luftwaffe, ergaben sich diesen bis heute umstrittenen Flächenbombardements jedoch nicht ohne erhebliche Gegenwehr. Insgesamt prasselten in diesem Zeitraum auf das Deutsche Reich sowie auf die von deutschen Truppen besetzten Gebiete die unglaubliche Masse von 2 770 540 Tonnen Bomben nieder.
Eine der größten Luftschlachten, vielleicht sogar die größte in Deutschland und Europa, fand am 7.Juli 1944 über Mitteldeutschland statt. Sie bekam den Namen „Luftschlacht von Oschersleben-Egelner Mulde“ und wurde von den Nationalsozialisten als „Blitzluftschlacht von Oschersleben“ propagiert. Heute ist von diesem Ereignis kaum noch etwas bekannt.
Am frühen Morgen des 7.Juli 1944 startete von Südengland aus die 8.US-Luftflotte einen Schwerpunktangriff auf Mitteldeutschland. 1 129 B-17 und B-24 Bomber waren gestartet, begleitet von 756 Begleitjägern. Ihre Ziele waren klar definiert: Hydrierwerke Lützkendorf, Böhlen und Merseburg, sowie Flugzeugwerke und Zulieferer in Aschersleben, Oschersleben, Halberstadt, Bernburg, Halle und Leipzig sowie die Flugplätze in Kölleda und Nordhausen. Zugleich griff die United States Army Air Forces (USAAF) von Italien aus die Treibstoffwerke in Oberschlesien an, damit die bereits stark geschwächten deutschen Abwehrkräfte auch noch aufgesplittert wurden.
Bomber über Nürnberg - WikipediaDie deutsche Luftabwehr hatte die aus England anfliegende 8. US-Luftflotte jedoch frühzeitig gesichtet und war in Bereitschaft. Viel hatten die Deutschen dennoch nicht aufzubieten: IV.Sturm/JG 3, gesamte JG 300, II./JG 5 sowie I. und II./ZG 26. Insgesamt standen den 1 885 US-Flugzeugen etwa 90 deutsche Jäger der Typen Me-109 und FW190 gegenüber. Die Amerikaner kamen mit drei getrennt angreifenden Divisionen. Etwa gegen 8.30 gab es bei den deutschen Abwehrkräften den Alarmstart – die Kräfte sollten sich über dem Brocken zu einem Kampfverband zusammenschließen. Doch wohl schon vor diesem Treffen bekamen die deutschen Jäger ersten Feindkontakt. Die Deutschen hatten somit die US-Bomber bis nach Mitteldeutschland eindringen lassen, bevor sie begannen diese zu attackieren. Diese Strategie war sicherlich dem Umstand geschuldet, dass ein Angriff weiter westlich keine Erfolgsaussichten gehabt hätte, denn den 756 Begleitjägern der Amerikaner hätten die 90 deutschen Jäger nichts entgegensetzen können. Der Treibstoff der Begleitjäger reichte jedoch nicht, um die Bomber bis zu ihren Zielen zu begleiten – sie mussten vorher abdrehen. Diesen Zeitpunkt nutzten die Deutschen Jäger um gegen die US-Bomber erhebliche Erfolge zu erzielen. Zwar konnte ein Großteil der Bombenabwürfe nicht verhindert werden – so wurde auch der Leipziger Hauptbahnhof zerstört -, dennoch erlitten die Amerikaner drastische Verluste. Allein über dem Harzgebiet sowie dem Harzumland konnte ich für diesen Tag 39 Abstürze von B-17 und B-24 Bombern recherchieren. Bei diesen Bomber-Abstürzen konnte ich 119 tote amerikanische Flieger sowie 117 in Kriegsgefangenschaft (P.O.W) geratene ermitteln. Hinzu kamen noch zahlreich Verluste von Begleitjägern sowie deren Piloten.
Offizielle Zahlen zu den US-amerikanischen Verlusten jenes 7. Julis 1944 liegen bis heute nicht vor. Die Mutmaßungen schwanken zwischen 4 und 30 Prozent Verlust der gestarteten Bomber. Dennoch war dieser Bombereinsatz für die Amerikaner ein Desaster und führte zu einem Strategiewechsel der jedoch einige Zeit in Anspruch nahm.
Doch wie konnte eine Anzahl von etwa 90 deutschen Jägern – auch die hatten einige Verluste zu beklagen – eine amerikanische Armada von insgesamt 1885 Flugzeugen derart zusetzen. Dazu gibt es von verschiedenen Autoren verschieden Thesen.
These 1: Die deutschen Jäger waren mit einer neuartigen Panzerung ausgestattet, die getestet wurde. Diese These schließe ich aus, es gibt keine Hinweise dafür und es ist technisch auch schwerlich machbar, ein Jagdflugzeug nachträglich zu panzern ohne seine Flugeigenschaften erheblich zu verschlechtern.

Halfsize Traumb. V1

Vermutung 2: Die deutschen Jäger haben erstmals Luft-Luft-Raketen als Bordwaffen gegen die „Fliegenden Festungen“ eingesetzt. Auch diese These lehne ich ab. Die einzige von deutscher Seite im 2. Weltkrieg eingesetzte Luft-Luft-Rakete war die ungelenkte R4/M „Okan“. Von ihr wurden bis zum Kriegsende 12.000 Stück produziert, sie konnten aber erst ab 1945 eingesetzt werden. Der Name Luft-Luft-Rakete besagt, dass sie in der Luft abgefeuert wird, um Ziele in der Luft zu treffen. Die beiden lenkbaren Luft-Luft-Raketentypen Henschel Hs 117H und Ruhrstahl X-4 befanden sich noch in der Entwicklung und kamen angeblich nicht mehr zum Einsatz.
Vermutung 3, meine These: Von militärischen Gesichtspunkten aus können also keine Luft-Luft-Raketen zum Einsatz gekommen sein. Wohl aber Raketenwerfer – sogenannte Nebelwerfer -, die von Dipl.-Ing. Rudolf Nebel bereits im ersten Weltkrieg entwickelt und getestet wurden. Die Weiterentwicklung im 2. Weltkrieg hieß Nebelwerfer 21-cm-Werfer-42. Dieser war ein Raketenwerfer mit fünf im Kreis angeordneten Rohren von 1.300 mm Länge, der eine Reichweite bis zu angeblich 7,8 km besaß.
Als sich 1943 herausstellte, dass sogar schwere Bordkanonen für die Bekämpfung der feindlichen Bomber nicht wirkungsvoll genug waren, wurde aus eigener Verantwortung von deutschen Fliegeroffizieren die Verwendbarkeit des Werfers auf seinen Einbau in Jagdflugzeugen untersucht. Ab Januar 1944 fanden entsprechende Tests statt, in denen die Jagdflugzeuge Me-109 und Fw-190 mit diesen Raketenwerfern ausgerüstet wurden. Schnell zeigte sich die Überlegenheit dieser Raketenwerfer – genannt Wgr 21 – gegenüber den üblichen Bordwaffen. Mit diesen neuen Bordwaffen und ihrer erheblichen größeren Reichweite konnten die Panzerungen der amerikanischen Bomber effizient durchbrochen werden. Allerdings gab es einen Wermutstropfen: Die Anzahl der mitzuführenden Raketen war auf fünf begrenzt.
So ausgestattet, neben den MGs, griffen die deutschen Jäger wohl die amerikanischen Bomber an. Diese waren den deutschen Jägern schutzlos ausgeliefert und sie versuchten Richtung Rhein zu fliehen. Viele schafften es jedoch nicht. Die es schafften, wurden dort von den zurückgebliebenen Begleitjägern in Empfang genommen, die die Deutschen Jäger abdrängten. Der Schwerpunkt dieser Luftschlacht lag jedoch über der Egelner Mulde – mitten in Deutschland.