Archiv der Kategorie: Politik

In der ganzen Welt ist jeder Politiker sehr für Revolution, für Vernunft und Niederlegung der Waffen – nur beim Feind, ja nicht bei sich selbst.

Hermann Hesse

Kernfusion mit Wendelstein 7-X

Es ist gelungen, erstmals! Bisher war es eine Fiktion, dass der Mensch eine Kernfusion, wie sie ständig auf unserer Sonne abläuft, steuern und bändigen könnte.

Im Greifswalder Versuchsreaktor ist diese, wohl zu den verwegensten Ideen der Menschheit zählende, Fiktion der Realität nun ein großes Stück nähergekommen. Wahnsinn oder Genialität, die Auffassungen teilen sich. Auch hört man verschwindend wenig über dieses deutsche Prestige-Projekt, das immerhin schon über eine Milliarde Euro Steuergelder gekostet hat – 500 Millionen waren einmal geplant. Was jedoch nicht verwunderlich ist, gab es schließlich für diese Forschungskalkulation keinerlei Erfahrungswerte. Allein Entwicklung und Bau des Magnetspulen-Rings, mit dem die Forscher technologisches Neuland betraten, kostete 370 Millionen Euro.

Nun greift das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), dass den Kernfusionsreaktor betreibt nach den Sternen. Es will die chemisch-physikalischen Abläufe einer Sonne, auf der Erde reproduzieren. Keine einfache und unkomplizierte Sache – ganz im Gegenteil – das ist eher eine höllische Aufgabe. Um eine Kernfusion überhaupt auslösen zu können sind unvorstellbare Temperaturen und Drücke erforderlich. Im Zentralbereich der Sonne laufen diese Prozesse bei etwa 15 Millionen Grad Celsius und einem Druck von 200 Milliarden Bar ab. Da letzterer auf unserem Planeten (derzeit) nicht zu erreichen ist, müssen die Reaktionstemperaturen dementsprechend erhöht werden: auf sagenhafte 100 Millionen Grad Celsius. Erst bei diesen Temperaturen geben Atome ihre Elektronen ab und werden zu Ionen; ein Plasma entsteht. In der Physik ist ein Plasma ein Teilchengemisch auf atomar-molekularer Ebene, dessen Bestandteile teilweise geladene Komponenten, Ionen und Elektronen sind. Das bedeutet, dass ein Plasma freie Ladungsträger enthält. Eine für das Verhalten von Plasmen, aber auch für deren technische Nutzung wesentliche Eigenschaft, ist deshalb deren elektrische Leitfähigkeit.
Halfsize Traumb. V1

Bei der angestrebten Kernfusion, also bei thermonuklearen Prozessen, werden unvorstellbare Energien frei – diese bringen unsere Sonne zum Strahlen. Fusionsbrennstoffe für diese Kernreaktion sind dabei Deuterium (2H) und Tritium (3H). Deuterium und Tritium sind beides natürliche Isotopen des Wasserstoffs und der kommt auf unserem Planeten in fast unbegrenzter Menge vor oder kann erzeugt werden. Bei den geplanten zukünftigen Kernfusionen sollen diese beiden Wasserstoff-Isotopen zu einem Heliumkern verschmelzen, wobei ein Neutron sowie eine gewaltige Energiemenge freigesetzt werden. Es wird davon ausgegangen, dass sich mit einem Gramm Brennstoff mehr Energie erzeugen lässt, als durch die Verbrennung von zehn Tonnen Kohle.

Lassen sich diese Prozesse steuern, wovon die Wissenschaft ausgeht, so wären alle Energieprobleme der Menschheit zukunftsträchtig und nachhaltig gelöst. Die Kernfusion stellt die Wissenschaft und auch die Technik jedoch vor gewaltige Herausforderungen. Dennoch scheinen diese lösbar, auch wenn es noch ein weites Stück Weg ist.

Was unterscheidet jedoch eine Kernfusion von einer Kernspaltung (Atomkraftwerk)? Zum einen ist, im Gegensatz zur Kernspaltung, eine Kettenreaktion mit Fusionsreaktionen nicht möglich. Zum anderen entstehen bei diesen physikalisch-chemischen Prozessen zwar auch radioaktive Substanzen, diese stellen allerdings nur ein geringen Gefährdungspotential dar. Das Reaktionsprodukt in Fusionskraftwerken ist Tritium, ein instabiles Isotop, auch überschwerer Wasserstoff genannt. Tritium zerfällt mit einer Halbwertszeit von zwölf Jahren in das stabile Isotop Helium-3. Im Gegensatz dazu bestehen die Produkte der Kernspaltung in den Brennelementen von Atommeilern aus einem breiten Gemisch radioaktiver Substanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften und Halbwertszeiten von teilweise über einer Million Jahren.

Die Kernfusionsforschungsanlage Wendelstein 7-X hat nun am 10.Dezember 2015 erstmals Helium-Plasma erzeugt. Etwa zehn Milligramm Helium wurden in das Magnetfeld einer Vakuumkammer der 725 Tonnen schweren Anlage eingeleitet und anschließend auf eine Million Grad erhitzt. „Das ist ein toller Tag“, sagte die wissenschaftliche Direktorin Sibylle Günter nach dem ersten Experiment, das nach neunjähriger Bauzeit der Anlage geglückt ist.

Sicherlich sind derartige Zukunftsforschungen nicht aus der Portokasse zu bezahlen. Dennoch sehe ich als Ingenieur derartige Steuerinvestitionen als gerechtfertigt an. Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten schon zu viele Zukunftstechnologien verschlafen – so beispielsweise in der Computer- und Informationsindustrie. In dieser zukunftsträchtigen Energietechnologie ist Deutschland jedoch weltweit führend.

Und wie aktuell in Deutschland üblich, tauchen unmittelbar nach einer technologischen Verkündung die ersten Kritiker auf. Ich bezeichne diese Leute mittlerweile als „Grundsatzkritiker“, und die gibt es in allen Parteien und parteinahen Institutionen. Es läuft immer nach dem gleichen Schema ab: was nicht von uns stammt ist schlecht – Kindergartenmentalität.

Kritiker der Technologie wie Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, sehen in Fusionsreaktoren keine Zukunftstechnologie, sondern in erster Linie Milliardengräber. „Bis 2050, wenn eventuell ein erster Demonstrationsreaktor in Betrieb gehen könnte, werden wir unseren Energiebedarf zu nahezu 100 Prozent aus Erneuerbaren decken“, argumentiert Kotting-Uhl. „Diese werden bis dahin unschlagbar billig sein.“ Der Wendelstein 7-X sei vor allem eine riesige Geldverbrennungsmaschine. Frau Kotting- Uhl hat wohl noch nie vom Jahr ohne Sonne und anderen derartigen Naturkatastrophen gehört. Ich habe darüber bereits berichtet.

Mir stellt sich dabei immer wieder die Frage warum in der Politik so häufig Fachfremde per Amt zu Fachleuten gemacht werden können: Kotting-Uhl ist Germanistin, unsere Verteidigungsministerin Ärztin, unser Gesundheitsminister Hermann Gröhe hingegen ist Jurist, unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist Lehrer was auch auf unsere Umweltministerin Barbara Hendrichs zutrifft. Nichts gegen diese hochqualifizierten und ehrenwerten Berufe, dennoch gilt ein uraltes Sprichwort: Schuster bleib bei Deinen Leisten“ wohl auch heute noch – oder auch nicht!?




Sammlung guter Zitate, Sprüche und Weisheiten

Heute beginne ich mit dieser Sammlung, die von mir ständig erweitert wird. Wer  meint etwas dazu beitragen zu können – gern doch!

„Der Nachteil der Demokratie ist, dass sie denjenigen, die es ehrlich mit der Demokratie meinen, die Hände bindet. Aber denen, die es nicht ehrlich meinen, ermöglicht sie fast alles“.
Vaclav Havel

„Es ist eine Zeit angebrochen, wo alles, was die Menschen bisher als unveräußerlich betrachtet haben, Gegenstand des Profits wird. Es ist dies die Zeit, wo selbst Dinge, die bis dahin mitgeteilt wurden, gegeben, aber nie verkauft, erworben, aber nie gekauft: Tugend, Liebe, Überzeugung, Wissen, Gewissen, wo mit einem Wort alles Sache des Handels geworden ist. Es ist die Zeit der allgemeinen Korruption, der universellen Käuflichkeit oder, um die ökonomische Ausdrucksweise zu gebrauchen, die Zeit in der jeder Gegenstand, ob physisch oder moralisch, als Handelswert auf den Markt gebracht wird.“
Karl Marx

Das Hummel-Paradoxon
„Die Hummel hat 0,7 cm² Flügelfläche und wiegt 1,2 Gramm. Nach den Gesetzen der Aerodynamik ist es unmöglich, bei diesem Verhältnis zu fliegen. Die Hummel kümmert das nicht und sie fliegt trotzdem.“
Ludwig Prandtl, Physiker, Ingenieur

„Wenn Wahlen etwas verändern würden, dann hätte man sie längst verboten“
Uwe Steimle, sächsischer Kabarettist

„Nichts macht den Menschen argwöhnischer, als wenig zu wissen.“ 
Sir Francis Bacon (1561-1626) englischer Philosoph

„Ein Kluger merkt alles, ein Dummer macht über alles Bemerkungen.“
Heinrich Heine (1797-1856) deutscher Dichter und Schriftsteller

„Politik ist eben an sich keine logische und exakte Wissenschaft, sondern sie ist die Fähigkeit, in jedem wechselnden Moment der Situation das am wenigsten Schädliche oder das Zweckmäßigste zu wählen.“
Otto von Bismarck (1815-1898) Deutscher Reichskanzler

„Glauben heißt: nicht wissen.“
alte Volksweisheit

„Eigentlich lernen wir nur von den Büchern, die wir nicht beurteilen können. Der Autor eines Buches, das wir beurteilen können, müsste von uns lernen.“
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) Deutscher Dichter und Gelehrter

„Journalisten sind Leute, die Fragen stellen, ohne Antworten zu bekommen. Politiker sind Leute, die antworten, ohne gefragt worden zu sein. “
Normen Mailer (1923-2007) US-amerikanischer Schriftsteller

„Manche Politiker muss man behandeln wie rohe Eier. Und wie behandelt man rohe Eier? Man haut sie in die Pfanne.“ 
Dieter Hallervorden, deutscher Komiker, Kabarettist, Schauspieler, Sänger, Synchronsprecher, Moderator und Theaterleiter

„Nennen Sie mir ein Land, in dem Journalisten und Politiker sich vertragen, und ich sage Ihnen, da ist keine Demokratie.“
Hugh Carleton Greene (1910-87) brit. Publizist

„Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns herum immer wieder gepredigt wird. Und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse.“          Johann Wolfgang von Goethe




„Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dieses, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.“
Georg Wilhelm Friedrich Hegel

„Verrückt ist der, der immer die gleichen Dinge tut, aber andere Ergebnisse erwartet.“
Albert Einstein

Völkerwanderungen V – die Hugenotten

Vorweggenommen, bei der Auswanderung der Hugenotten handelt es sich nicht um eine klassische Völkerwanderung. Dennoch waren es geschätzte 500 000 Menschen, die ihrer französische Heimat Ende des 17. Jahrhunderts für immer den Rücken kehrten; für damalige Zeiten eine überaus große Menschenmenge. Hinzu kommt, dass diese Auswanderungswelle eines der positivsten Beispiele für eine wohl gelungene Integration von Menschen aus einem anderen Sprach- und Kulturkreis darstellt.

Der Humanismus hatte auch in Frankreich der Reformation den Boden bereitet, so dass schon 1523 die erste lutherische Bewegung entstand. Die Verfolgung seiner Anhänger durch König Franz I. (1494-1547) sowie dessen Sohn Heinrich II. (1519-1559) lies an Stelle des Luthertums die streitbare Lehre Calvins treten.

Johannes Calvin (1509-1564) war neben Martin Luther der bedeutendste Reformator im 16. Jahrhundert. Im Jahr 1536 musste er seine Heimat Frankreich verlassen, weil er sich in seinem Buch Institutio Christianae Religionis gegen die katholische Lehre und damit gegen das Papsttum gewandt hatte. Seine Lehre, der Calvinismus, verbreitete sich ab 1545 relativ rasant bei Handwerk, Bürgertum und auch dem Adel und führte von 1562 bis 1598 zu einem blutigen Bürgerkrieg in Frankreich, dem Hugenottenkrieg.

Ab etwa 1560 war für französische Protestanten im vorrevolutionären Frankreich die Bezeichnung Hugenotten gebräuchlich. Die Herkunft dieses Wortes ist nicht zweifelsfrei geklärt, eine Ableitung vom frühhochdeutschen Begriff Eidgenossen (eygenot) wird jedoch angenommen.

Nach zahlreichen Übergriffen durch die katholische Staatsmacht mit ihrer Armee auf die Hugenotten, kam es am 23./24. August 1572 zur Bartholomäusnacht. Dieses Massaker an französischen Hugenotten wird auch Pariser Bluthochzeit genannt. Admiral Gaspard de Coligny und weitere Führer der französischen Protestanten wurden dabei auf Befehl der Königinmutter Katharina von Medici ermordet. Die Protestanten waren Gäste der Hochzeit des Protestanten Heinrich von Navarra (des späteren Königs Heinrich IV.) mit Katharinas Tochter Margarete von Valois. Die Zahl der Todesopfer betrug in Paris etwa 3.000 und auf dem Lande zwischen 10.000 und 30.000. Das Morden an Kindern, Frauen, Alten und Jungen ging aber noch zwei lange Monate weiter. Es folgte eine erste größere Fluchtwelle von Hugenotten in umliegende europäische Länder.

Heinrich IV. (Heinrich von Navarra), der selbst nach seiner Thronbesteigung vom Protestantismus zum Katholizismus konvertieren musste, um sich endgültig in Frankreich durchzusetzen, und der nach seinem Sieg über die ihn bekämpfende Katholische Liga das Land zu befrieden versuchte, unterzeichnete 1598 das Edikt von Nantes. Es gewährte den Calvinisten Gewissensfreiheit und die freie Religionsausübung in der Öffentlichkeit, ausgenommen in Paris und Umgebung sowie in Städten mit Bischofssitz oder königlichen Schlössern.

Es trat für 30 Jahre eine gewisse Beruhigung der Lage in Frankreich ein. Unter den regierenden Ministern Kardinal Richelieu und Kardinal Mazarin begann sich die Lage für die Hugenotten erneut zu verschärfen. Als Sonnenkönig Ludwig XIV. 1661 die Regierung übernahm leitete er eine groß angelegte, mit Bekehrungs- und Missionierungsaktionen verbundene, systematische Verfolgung der Protestanten ein, die er aufgrund der einsetzenden Flüchtlingswellen 1669 mit einem Emigrationsverbot verband und die schließlich ab 1681 in den berüchtigten Dragonaden ihren Höhepunkt fanden. Als solche werden die Strafmaßnahmen bezeichnet, die Ludwig XIV. gegen die Hugenotten einführte, um diese zurück zum katholischen Glauben zu zwingen. Diese Bezeichnung wurde von den Dragonern abgeleitet, die besonders in den südfranzösischen Landschaften, zwangsweise bei den Hugenottenfamilien einquartiert wurden. Diese mussten die Dragoner so lange verpflegen und versorgen, bis sie zum Katholizismus zurückkehrten. Anscheinend fruchteten selbst diese Zwangsmaßnahmen nicht ausreichend, so dass Ludwig XIV. 1685 das Edikt von Nantes widerrief – der Protestantismus/Calvinismus war somit faktisch wieder verboten. Das weitere Anhängen am reformierten Glauben sowie die Auswanderung der Hugenotten wurde in der Folge mit Galeerenstrafe bedroht. Das war eine äußerst harte und grausame Strafe. Die Sträflinge wurden mit Ketten an die Ruderbänke der Galeeren angeschlossen und mussten dort Tag und Nacht, ohne die Ketten abgenommen zu bekommen, die Riemen der Schiffe bedienen.

Alle Maßnahmen, die Hugenotten zu bekehren zum katholischen Glauben zurückzukehren, brachten Ludwig XIV. jedoch wenig Erfolg. 1687 setzte eine gewaltige Flüchtlingswelle der Hugenotten ein. Die Réfugiés (Flüchtlinge) flohen in die europäischen Länder, die inzwischen die reformierte Lehre angenommen hatten oder aber gleichberechtigt neben dem Katholizismus akzeptierten. Daher suchten viele Hugenotten auch Zuflucht in deutschen Herrschaftsbereichen, vorzugsweise in Rheinpfalz, dem Kurfürstentum Brandenburg, in Hessen, der Markgrafschaft Brandenburg-Bayreuth und in Mecklenburg.

Im Folgenden möchte ich mich nun ausschließlich der Einwanderung der Hugenotten in das Kurfürstentum Brandenburg zuwenden und dabei insbesondere dem Fürstentum Halberstadt. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen würde es zu weit führen alle Hugenottenströme zu verfolgen, zum anderen habe ich mich intensiv mit der Einwanderung nach Halberstadt auseinandergesetzt, wodurch ich hoffentlich im Weiteren noch einige interessante Aspekte anführen kann.

Halberstadt, dass durch den Westfälischen Friede als Fürstentum zum Kurfürstentum Brandenburg gekommen war, hatte außergewöhnlich stark unter den Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges gelitten. Die Bevölkerung der ehemaligen Bischofsstadt war äußerst stark dezimiert worden. Noch erheblich drastischer hatte es Magdeburg getroffen. Durch die Magdeburger Hochzeit (Zerstörung der Stadt durch die kaiserlichen Truppen unter Tilly und Pappenheim im Mai 1631) waren von den einstmals etwa 35 000 Einwohnern 1639 nur noch etwa 450 Menschen übrig geblieben.

Kurfürst Friedrich Wilhelm III. hatte diese Situation fest im Auge, die auch andere Städte seiner Herrschaft, wie Berlin und Potsdam betraf, als er am 08. November 1685 das Edikt von Potsdam erließ. Mit diesem Erlass lud der Kurfürst 20.000 Hugenotten nach Brandenburg ein, um sich dort nieder zu lassen. Die französischen Réfugiés nahmen das Angebot des deutschen Kurfürsten gern an und zogen in das Kurfürstentum Brandenburg.


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Frankreich verlor mit den Auswanderern, was die anderen – so auch Brandenburg – gewannen: Neben vielen tüchtigen Kaufleuten, Seeleuten (die Hugenotten galten als die besten Seeleute Frankreichs), Ärzten und Wissenschaftlern, kamen auch hochqualifizierte und spezialisierte Handwerker sowie Bauern nach Brandenburg. Der Große Kurfürst hatte wohl eine Vision! Jedoch musste er zunächst seine Bevölkerung auf die Einwanderungswelle vorbereiten, denn seine Untertanen hatten selbst noch extrem unter den Nachwirkungen des Dreißigjährigen Krieges zu leiden.

Besonders für Halberstadt wurde es eine äußerst schwere Zeit, denn der Kurfürst hatte die Stadt als zentralen Anlaufpunkt für alle Hugenotten, die aus Frankreich nach Kurbrandenburg einreisten, vorgesehen. Dort wurden die Hugenotten kurzfristig aufgenommen, versorgt und verpflegt und dann geordnet in vorgesehene Städte und Regionen weiter geleiten. Da zeigen sich Analogien zu heute auf, denn auch jetzt ist Halberstadt zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt. Allein die Versorgung und Weiterleitung der vielen Flüchtlinge brachte immer neue, erhebliche Schwierigkeiten, mit denen sowohl die Halberstädter Regierung wie auch die Bevölkerung fertig werden mussten.

Im November 1687 erließ daher der Kurfürst einen Befehl an die Regierung des Halberstädter Fürstentums, wonach eine allgemeine Steuer von allen Bürgern einzutreiben sei. Diese Steuer ging jedoch nur sehr zaghaft ein, so dass diese von kurfürstlichen Beamten erst „nachdrücklich“ eingetrieben werden musste.

Diese Zeit muss extrem schwer für Halberstadt gewesen sein. Die halberstädter Bürger, wie auch die die Landbevölkerung in den umliegenden Dörfern, führte einen eigenen Überlebenskampf und musste dennoch tausende Flüchtlinge versorgen. Daher schrieb H. Tollin in seiner dreibändigen Arbeit über die „Geschichte der französischen Kolonie in Magdeburg“ (1887): „…..wenn man es irgendeiner Stadt verzeihen kann, dass sie sich zur Daueraufnahme von andersgläubigen Franzosen nicht hervordrängte, so ist es Halberstadt…“.

Daher dauerte es auch 14 Jahre, bis sich in Halberstadt eine erste Hugenotten-Gemeinde zu bilden begann. Den Anfang machten im Jahr 1700 etwa 50 Familien mit zusammen ca. 175 Personen, die vorrangig aus der französischen Schweiz kamen. Obwohl die halberstädter Stände genug eigene Sorgen und Probleme hatten, taten sie ihr Möglichstes um, um den Flüchtlingen zu helfen. So wurden neben Geld- und Sachspenden auch Äcker für die Hugenotten bereitgestellt. Diese Flüchtlinge waren zum einen Bauern und zum anderen Handwerker aus der Textil- und Lederbranche.

Der Calvinismus, wegen dem die Menschen ausgewandert waren, basierte auf einer sittenstrengen, ernsthaften und sparsamen Lebensweise, gepaart mit einer streng ausgeübten Kirchenzucht. Schlicht ausgedrückt waren die Hugenotten „Andersgläubige“ gegenüber den einheimischen Protestanten und Katholiken. Dadurch bedingt lebten die Hugenotten anfangs in einer in sich geschlossenen Kolonie. Das Gemeindeleben wurde von der französischen Brauerei getragen, der 1700 das Brauerei-Privileg erteilt wurde und die zugleich steuerlich freigestellt wurde. Dennoch war es für die Immigranten anfangs nicht einfach in Halberstadt anzukommen: So ist zum Beispiel überliefert, dass in der ersten Zeit nach der Gründung der halberstädter Kolonie viele Hugenotten erkrankten, weil sie das grobe Gerstenbrot, den schweren Broyhan (Bier) und den rauen Brockenwind nicht vertrugen. Die Hugenotten erhielten dann die Erlaubnis ihr angestammtes Brot zu backen und das sogenannte „Halbbier“, das ihnen zusagte, zu brauen.

Die hugenottischen Bauern beackerten die ihnen überlassenen Felder rund um Halberstadt und trugen damit zur besseren Versorgung bei. Die Textil- und Lederfachleute errichteten neue Werkstätten und entwickelten Halberstadt zum Zentrum der deutschen Handschuhmacher. Diese Entwicklungen wurden von den brandenburgisch/preußischen Herrschern großzügig gefördert. Das traf übrigens auch auf Magdeburg zu, wo mit dem Beginn der Einwanderungswelle geschätzte 5 000 Hugenotten eine neue Heimat fanden. Es wird davon ausgegangen, das zu diesem Zeitpunkt mehr Hugenotten in Magdeburg lebten als Magdeburger und auch, dass Magdeburg ohne die Hugenotten wohl schwerlich wiederaufgebaut worden wäre.

Jedoch zurück zu Halberstadt: Die unterschiedliche Lebensauffassung und der unterschiedliche Glaube führten natürlich auch zu Unstimmigkeiten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Hugenotten bestrebt waren ein eigenes Gotteshaus für ihre Gemeinde zu bekommen. Bereits 1713 bis 1717 wurde die Franzosenkirche im „Hugenottenstil“ erbaut. Den gab es tatsächlich in der Baugeschichte. Er zeichnet sich durch Nüchternheit und Klarheit aus, die Kirchen waren meistens im Sinnes des Predigersaales angelegt. Die hugenottischen Stadtanlagen zeichnen sich durch gerade und breite Straßen mit rechteckigen Häuservierteln aus, wie sie u.a. in Erlangen-Neustadt, Mannheim, Oberneustadt in Kassel, Magdeburg-Neustadt und explizit in Potsdam noch heute augenscheinlich sind.

Für den Bau der Halberstädter Franzosenkirche wurde eine Kollekte ausgeschrieben, in die alle französischen Kolonien einbezogen wurden. Spenden für die neue Kirche kamen unter anderem aus: Leipzig, Königsberg, Danzig, Stendal, Calbe, Cleve, Dresden, Brandenburg, Frankfurt/Oder, Cottbus, Braunschweig, Bremen, Neuhaldensleben, Magdeburg, Hamm, Minden, Hannover, Burg, Wesel, Genf, Zürich, Schaffhausen und Basel.

Die französische Gemeinde in Halberstadt entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts prächtig. Damit meine ich insbesondere die Integrationsfähigkeit der Hugenotten. Von den Familien, die die Franzosen-Kolonie um 1700 begründet hatten, sind uns 43 namentlich bekannt. Dabei ist besonders zu erwähnen, dass von diesen französischen Namen im Jahr 1848 kein einziger mehr in dem halberstädter Einwohnerverzeichnis vermerkt war. Bei aller Wandlung von Personen und Namen in einem Zeitraum von knapp 150 Jahren ist das schon bemerkenswert. Es zeigt uns, dass die Hugenotten vollständig in der Stadtgemeinschaft aufgegangen waren. Die französische Gemeinde hatte in Halberstadt nur 109 Jahre bestanden, dann war die Integration vollständig abgeschlossen.