Das deutsche Wahlsystem 2017

Wir haben gewählt: Die Wahlbewertung ist sicher individuell verschieden. Zudem wissen wir bisher noch nicht, welche Regierung wir bekommen und was diese dann programmatisch umsetzen will.
Eines ist jedoch schon heute klar und das dürfte jeden Bürger und Steuerzahler die Zornesröte ins Gesicht treiben: Wir werden in diesem Wahlzeitraum weit mehr als 500 Millionen Euro zusätzlich für unser Parlament ausgeben. Diese Mehrausgaben resultieren ganz einfach aus unserem Wahlsystem, das so komplex und kompliziert ist, dass es kaum einer genau kennt, geschweige denn versteht.
Die Politik erweckt dabei immer den Anschein, als wenn es äußerst schwer praktikabel wäre, dieses zu ändern. Doch geändert wurde es in Einvernehmen zwischen Union, SPD, FDP und Grünen letztmals erst am 21. Februar 2013, jedoch nicht zum Guten, wie sich zeigt. Auch werden derartige Gesetzesänderungen nicht mehr publiziert als vorgeschrieben und die Medien üben sich in Zurückhaltung.
Doch fangen wir von ganz vorn an: Wir haben in Deutschland das sogenannte personalisierte Verhältniswahlsystem in Anwendung. Schon bei dieser Bezeichnung endet oftmals der Durchblick des Wählers. Einfacher ausgedrückt: Wir haben ein Wahlsystem bei dem von Parteien Kandidaten oder Gruppen von Kandidaten aufgestellt werden. Diese werden in Listen geordnet. Man könnte also auch sagen wir haben eine Parteien-Listenwahl.

Halfsize Traumb. V1

Natürlich hat man sich bei diesem personalisierten Verhältniswahlsystem etwas gedacht: Es vereint zwei Elemente und zwei Ziele. Einerseits soll es den Wahlkreiskandidaten an seine Wähler binden. Wird der Kandidat über die Erststimme direkt – also mehrheitlich – gewählt, so kann er weitgehend unabhängig von Parteizwängen agieren. Das bringt den Vorteil einer gewissen Unabhängigkeit sowie die Möglichkeit sich für regionale Interessen einzusetzen. Dennoch: Diese Unabhängigkeit hält nur für eine Wahlperiode und bei Handlungen gegen Parteidirektiven ist eine Wiederaufstellung fraglich.
Jedoch kann mit der Erststimme immer nur ein Kandidat direkt gewählt werden. In der Regel bilden die Erststimmen jedoch für den gewählten Kandidaten keine absolute Mehrheit ab, sondern nur eine relative, z.B. bei vier Kandidaten 32 Prozent der Stimmen. Die restlichen Stimmen verfallen.
Wenn nun, wie bei dieser Wahl 2017, die überwiegende Mehrheit aller Wahlbezirke von einer Partei gewonnen wird – in diesem Fall der CDU – so kommt die absolute Mehrheit aller gewählten Direktkandidaten in der Regel aus diesem Parteilager. Das wäre eine Ungerechtigkeit, denn die CDU hat nur 26,8 % aller Erststimmen erhalten – das CSU-Ergebnis lasse ich außen vor – und würde dennoch die Mehrheit aller Abgeordneten stellen.
Um diese vermeintliche Ungerechtigkeit auszugleichen, wurde die Zweitstimme eingeführt. Sie legt das Verhältnis der Parteien fest: Wenn deutschlandweit eine Partei 35 Prozent der Zweitstimmen erzielt, bekommt sie auch mindestens 35 Prozent der Sitze im Bundestag. Jede Stimme zählt hier gleich viel, und es fallen nicht, wie im Beispiel oben, 73,2 Prozent der Stimmen gewissermaßen unter den Tisch.
Doch nun tritt eine Sonderregel in Kraft: Man wollte keine kleinen Splitterparteien im Parlament haben um die Koalitionsbildung zu erleichtern und das Arbeiten im Parlament vereinfachen: Dazu dient die Fünfprozenthürde. Eine Partei braucht demnach mindestens 5 Prozent der Zweitstimmen um in den Bundestag zu kommen. Und erneut eine Ausnahmeregelung: Hat eine Partei mindestens 3 Direktmandate gewonnen, tritt die Fünfprozentregelung außer Kraft. Sie kann trotzdem in voller Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen.
Regulär hat der Bundestag 598 Sitze. Davon sind 299 Sitze für die Erststimmen-Direktkandidaten vorgesehen. Je nach Zweitstimmenergebnis werden die weiteren Sitze auf die Parteien verteilt. Sitze, die dann noch übrig sind, werden mit Politikern aus den Landeslisten der Parteien besetzt. Stehen z. B. der SPD in Sachsen 12 Sitze zu und ziehen 7 Direktkandidaten des Bundeslandes in den Bundestag ein, die ihren Wahlkreis gewonnen haben, so bekommen zudem noch die obersten fünf Politiker der Landesliste ein Mandat.
Und hier stoßen wir auf einen wenig demokratisches – eher undemokratisches – Verfahren, dass zunehmend aus dem Ruder läuft. Die Landeslisten werden von den obersten Parteigremien aufgestellt und in der Regel dann von einer Delegiertenkonferenz bestätigt. Selbst die eigenen Basis-Parteimitglieder haben da kaum einen Einfluss. Leider versuchen die Mitglieder der Führungsriegen immer wieder sich gegenseitig „im Geschäft zu halten“. Der Wähler hat somit keinerlei Einfluss auf die Reihenfolge der Landeslisten. Er kann auch keinen ungeliebten Politiker abwählen, wenn dieser es auf der parteiinternen Liste ganz nach oben schafft. Hinzu kommt, dass viele Spitzenpolitiker sich nicht mehr die Mühe machen, ein Direktmandat zu erringen. Sie kandidieren einfach nicht, sondern lassen sich einfach nur ganz oben auf die Landesliste stellen.
Diese Mandatsverteilung nach Landeslisten sollte im Rahmen einer Demokratisierung des Wahlsystems dringend geändert werden.
Ganz so einfach ist die Mandatsverteilung dennoch nicht, denn nun kommen die Überhangmandate in Anwendung.
Dazu ein Beispiel zur Erläuterung: Einer Partei X des Bundeslandes Hessen stehen 12 Sitze im Bundestag zu. Jedoch haben 14 Kandidaten dieser Partei ein Direktmandat in ihrem Wahlkreis gewonnen. Da Direktmandate immer ihren Sitz im Parlament haben, können die zwei Mandate zu viel nicht wegfallen. Diese zwei Mandate werden als Überhangmandate bezeichnet, sie erhöhen die Zahl der Sitze in diesem Beispiel von 598 auf 600.
Die Zweitstimmen sind also entscheidend! Das zuvor aufgezeigte Beispiel verdeutlicht jedoch, dass es Wahlkonstellationen geben kann, in der ein Parteienbündnis nach Zweitstimmen – also Parteienstimmen – keine Mehrheit hätte, am Ende jedoch, aufgrund der Überhangmandate, eine Mehrheit der Sitze im Bundestag erzielen könnte. Da die Zweitstimme im deutschen Wahlsystem entscheidend sein soll, hatte das Bundesverfassungsgericht eine Änderung des geltenden Wahlrechts angemahnt. CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne haben sich daraufhin auf eine Neuregelung im Jahr 2013 geeinigt, bei der die Überhangmandate ausgeglichen werden müssen.
Diese neue Regelung mit sogenannten Ausgleichsmandaten funktioniert so: Wenn es bei einer Wahl Überhangmandate gibt, so bekommen die anderen Parteien im Gegenzug Ausgleichsmandate. Davon gibt so viele, bis das Zweitstimmenergebnis ausgeglichen ist. Somit soll das Wählervotum wiederhergestellt werden. Aber funktioniert das?
Es war bei dieser Regelung absehbar, dass der Bundestag größer werden würde. Jedoch das Verhältnis der Parteien untereinander würde so bleiben, wie es der Wähler mit seiner Zweitstimme gewollt hat.
Die Erststimme ist also unerheblich geworden, die Zweitstimme ist entscheidend. Es werden also erheblich mehr Mandatsträger im Bundestag sein, die nicht direkt vom Wähler ihr Mandat erhalten haben, als direkt gewählte Volksvertreter. Ist da noch demokratisch?
Es war sicherlich gut gedacht. Doch gut gedacht ist noch lange nicht gut gemacht. Die undemokratisch aufgestellten Parteienvertreter der Landeslisten können somit gegenüber den Direktmandaten stark im Vorteil sein.
Bei der Bundestagswahl 2017 ist dieses Wahlsystem den Wählern nun – zumindest finanziell – auf die Füße gefallen. Das war bereits 2013 für die „etablierten Parteien“ absehbar. Denn die Zustimmung für die „großen Volksparteien“ war im Sinkflug. Jedoch ist es das ureigene Interesse der Parteien möglich viele Mandate zu bekommen – egal wie.




Die CDU ist stärkste Partei hat jedoch nur noch 26,8 Prozent der Wählerstimmen erhalten (-7,4 Prozent, zweitstärkste Partei wurde die SPD mit 20,5 Prozent (-5,2 Prozent). Gemeinsam mit ihrer Schwesterpartei CSU (6,2%) wurden hat die CDU 33 Prozent der Stimmen gewonnen, also knapp ein Drittel.
Dennoch hat die CDU 185 von 299 Direktmandaten errungen, was zu einer Menge an Überhangmandaten und somit letztlich auch zu Ausgleichsmandaten führt. Diese Entwicklung war vorauszusehen und sie wurde von den Parteien wohl wissend in Kauf genommen.
Wir kommen so auf sagenhafte 709 Sitze im Bundestag, das sind bei regulären 598 Sitzen 111 Überhang- und Ausgleichmandate. Diese zusätzlichen Sitze kosten den Steuerzahler über die Wahlperiode mehr als 500 Millionen Euro. Nun könnte man sagen dieses Geld sollte uns unsere Demokratie wert sein: Dem stimme ich zu, jedoch nur bedingt.
Die beiden selbsternannten großen Volksparteien verlieren immer mehr an Rückhalt, die kleinen Parteien werden stärker in der Wählergunst und auch neue Parteien kommen oder können hinzukommen.
Somit wäre es durchaus denkbar, dass bei der nächsten oder einer dann folgenden Bundestagswahl eine Partei mit etwa 20 Prozent Wahlsieger sein könnte. Dieser Wahlsieger könnte zudem die Mehrzahl an Direktmandate erringen und es kämen so noch vielmehr Überhang- und Ausgleichmandate zustande. Unser Wahlsystem sollte sich jedoch nicht zu einem Versorgungswerk für Politiker entwickeln.
Daher ist eine Reformation des Wahlsystems dringend erforderlich: Auch um das System an sich demokratischer zu machen. Denn wie bereits gesagt: Der Wähler kann keinen missliebigen Politiker mehr abwählen.
Zur Reformierung des Wahlsystems gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Eine Möglichkeit wäre, dass nur noch Kandidaten mit einer absoluten Mehrheit als Direktkandidaten einen Sitz bekommen. Das wären dann nur sehr wenige Kandidaten, wenn überhaupt. Alle anderen Kandidaten könnten ihren Sitz über Listen erhalten. Die Listenkandidaten werden von den Parteien aufgestellt, die Rangfolge jedoch vom Wähler in einer Vorwahl vorgenommen.
Solch ein Wahlsystem könnte das Geklüngel in den Hinterzimmern der Parteizentralen abschaffen und dem Wähler mehr demokratisches Mitspracherecht geben. Wäre das so schlimm? Zudem würde ein solches System sehr viel Geld sparen, denn es würde kaum noch Überhang- und Ausgleichmandate geben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.