Die alte Volkspartei SPD hat einen Kanzlerkandidaten und auch bald einen neuen Vorsitzenden: Sein Name Martin Schulz, seines Zeichens über 20 Jahre EU-Parlamentarier und von 2012 bis 2017 Präsident des EU-Parlaments.
Erneut wurde der Bevölkerung, und insbesondere den SPD-Mitgliedern, ein Negativbeispiel gegeben, wie Demokratie nicht aussehen soll. In Hinterzimmern wurde von zwei Männern, die in der Partei die Macht haben, ein geheimer Deal ausgehandelt. Parteivorsitzender Gabriel, der wohl keine Change mehr sah selbst Kanzler zu werden, trat Schulz die ihm zukommende Kanzlerkandidatur ab. Zudem warf Gabriel Schulz den Parteivorsitz noch hinterher. Nicht die Parteigenossen erfuhren zuerst von dieser einsamen Entscheidung, diese zu verkünden war dem Magazin Stern vorbehalten. Ein Musterbeispiel für Demokratieignoranz. Zudem hat Gabriel, Vizekanzler und Wirtschaftsminister zugleich, die Entscheidung getroffen, nicht mehr Wirtschaftsminister zu sein, sondern ob sofort Außenminister, an Stelle von Steinmeier. Weiterhin hat er seine Staatssekretärin Zypries zur neuen Wirtschaftsministerin gemacht. Alles mit einem Handstreich, ohne seine Partei einzubinden. Wie soll man solch ein Vorgehen bezeichnen: Selbstherrlichkeit?
Die SPD ist nun angeblich in maßloser Euphorie: „Es geht ein Ruck durch das ganze Land“ titelt ihre Website. Was sollen die Genossen auch anderes sagen, nach der einsamen Entscheidung ihrer beiden Leitwölfe. Von Basisdemokratie einer sozialdemokratischen Volkspartei keine Spur. Einige in der Parteiführung wittern Chancen auf Posten und blasen daher ins Euphoriehorn.
Martin Schulz, bis vor kurzem EU-Parlamentspräsident, hat anscheinend dies alles langfristig strategisch vorbereitet. Er wusste seit seinem Amtsantritt 2014, dass seine Amtszeit 2016 zu Ende geht, diese geheime Abmachung mit der konservativen EVP hat er selbst unterzeichnet. Eigentlich schon ein Skandal, der ihn diskreditiert Kanzlerkandidat der SPD zu werden.
Mir war Martin Schulz als EU-Präsident nicht unsympathisch. Er hat sich mit seiner Meinung nicht zurückgehalten, auch wenn seine Auftritte, die in letzter Zeit in den deutschen Medien überproportional waren, oftmals populistischen Charakter hatten. Man kann gut fordern, wenn man selbst keine Verantwortung für seine Forderungen tragen muss. Jedoch ist Schulz auch ein Stratege, der seine Chancen sucht. Allzugern wäre er EU-Kommissionspräsident geworden, doch da haben ihn die Konservativen ausgebremst: Auch die CDU. Nun verlor er auch sein Amt als Parlamentspräsident, was er zwar wusste, jedoch die Hoffnung stirbt zuletzt. Junker ist stark für eine weitere Amtszeit von Schulz eingetreten, hat angeblich sogar mit Rücktritt gedroht. Doch die Konservativen, allen voran die CDU und somit Angela Merkel, haben dies zu verhindern gewusst.
Nun ist Martin Schulz Kanzlerkandidat der SPD und designierter SPD-Vorsitzender. Sein Lebenslauf und seine Erfahrungen sprechen nicht für eine Kanzlerschaft. Zwar ist Schulz ein ausgezeichneter Redner und ein ausgewiesener Kenner der EU und seiner Strukturen. Zudem hat er vielfältige Beziehungen und Kontakte, doch reicht das für „Kanzler“? Was steckt hinter der freundlichen Fassade eines Martin Schulz, auch an Führungsstärke und Intellekt? Was ist seine Agenda und noch viel wichtiger, wie sehen seine Konzepte dahinter aus? Wir wissen es nicht! Sicher ist, Martin Schulz spaltet derzeit die Wählerschaft. Das Tempo, in dem die Entscheidungen der SPD-Granden Gabriel und Schulz jedoch gefallen sind – und dass im Geheimen – lässt stark am Demokratieverständnis dieser beiden Akteure zweifeln. Dieses geheime Taktieren, das ausschließlich persönliche Interessen in den Vordergrund stellt, lässt unzweifelhaft an den Aphorismus denken, „wenn jeder an sich denkt ist auch an alle gedacht“.
Dann erfolgte am Sonntag den 29.01. der erste öffentlichkeitswirksame Auftritt des Kanzlerkandidaten Martin Schulz bei Anne Will. Für mich war dieses 60-minütige Interview ein Desaster, ein Rohrkrepierer. Ein Mann mit kaum noch zu überbietender Selbstüberschätzung verkündete seine politischen Phrasen. Das Auftreten von Schulz erinnerte an das, von Gerhard Schröder nach der verlorenen Wahl. Zunehmend genervt und unmutig von den Fragen Wills, ließ er sich jedoch nicht von seinen Worthülsen abbringen. Über die Konzepte zur Umsetzung seiner Versprechen ließ er die Zuschauer im Ungewissen. Ideen: Fehlanzeige. Seine Antworten, seine Wahlversprechen – die üblichen sozialdemokratischen Gerechtigkeitsforderungen – wirkten einstudiert. Zwar glaubhaft jedoch ohne Idee und Kompetenz diese auch umzusetzen. Warum also Schulz wählen? Diese Gerechtigkeitsdebatte hören wir alle vier Jahre wieder, seit Jahrzehnten und ohne Ergebnis. Und immer sind am Ende andere Schuld. Aber so ist das in einer parlamentarischen Demokratie, das weiß auch Martin Schulz. Bisher stand Schulz in der EU für Umverteilung. Wird sich das ändern? Auch er konnte bisher die anderen EU-Mitgliedsländer weder in der Flüchtlingsfrage noch in der Reformfrage zum Umdenken bewegen. Als Kanzlerkandidat jedoch ist er in erster Linie dem deutschen Bürger verpflichtet.
Warten wir ab, mit welchen Ideen und Konzepten uns Martin Schulz noch überraschen und vielleicht auch überzeugen kann. Nett, freundlich, volksverbunden und ein „Gefühlsmensch“, wie er sich selbst gern bezeichnet, reichen leider nicht aus, um unser Land zu regieren. Und das Sprichwort von nett und dem kleinen Bruder kennen Sie sicher alle.
Zudem, wenn der Trainer ausgewechselt wird, doch die Mannschaft bleibt die Gleiche, wird sich an den Ergebnissen kaum etwas ändern. Ein Stürmerstar reicht nicht, wenn hinten immer wieder Eigentore fallen. Es heißt, der Martin, der spricht eine Sprache, die die Menschen verstehen. Das mag richtig sein! Doch die Menschen wollen keine leeren Versprechen mehr, sie wollen Taten sehen. Ob die jedoch von Martin Schulz kommen werden, ist abzuwarten. Ich bin da eher skeptisch und die Menschen wohl auch.
Wie hat Gregor Gysi vor kurzem sinngemäß bei Markus Lanz gesagt: Die Menschen haben CDU gewählt, nichts ist passiert, sie haben SPD gewählt, nichts ist passiert, sie haben die Linken oder Grünen gewählt, nichts ist passiert.
Wollen wir hoffen, dass bald ein Umdenken in den „Etablierten Parteien“ stattfindet, sonst wählen immer mehr AFD. Und diese Wähler sind zunächst einmal verloren. Das Aufstiegsversprechen und die Siegessicherheit von Schulz klingen für viele Menschen nicht mehr wie eine Verheißung, sondern eher wie Hohn. Die Menschen haben Ängste: vor Überfremdung, vor Globalisierung, vor Jobverlust, vor Altersarmut, vor sozialem Abstieg, vor Kriminalität und vielem mehr. Verheißungen genügen der SPD da nicht mehr, Lösungen müssen her.